Tod an der Förde
Käfigboden.
Margit schoss das Blut in den Kopf. Danach entstand
eine abrupte Leere im Gehirn, sodass sie taumelte und sich im letzten Moment an
der Arbeitsfläche der Küchenspüle festhalten konnte. Es dauerte eine Ewigkeit,
bis sie sich gefasst hatte.
»Komm, Jonas«, sagte sie zu dem Jungen, der immer noch
gebannt auf das entsetzliche Bild starrte, »komm weg davon.«
Sie zerrte das widerstrebende Kind ins benachbarte
Wohnzimmer und ließ sich schwer atmend in einen der Sessel fallen. Dann
umklammerte sie ihren Leib.
»Was ist mit Pucky geschehen?«, fragte der Junge, der
jetzt seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Margit stockend,
während sie das Kind in den Arm nahm und ihm vorsichtig den Kopf streichelte.
»Aber wir sollten Lüder anrufen. Der ist schließlich bei der Polizei«, setzte
sie mit einem gequälten Lächeln nach.
*
Lüder hatte sich nach Margits Anruf sofort auf den
Heimweg gemacht, benötigte aber trotzdem eine viertel Stunde, bis er vor seinem
Haus parkte.
Inzwischen waren auch die beiden anderen Kinder
eingetroffen. Obwohl Margit es zu verhindern suchte, hatte der aufgeregte Jonas
die beiden in die Küche zu dem Vogelkäfig getrieben. Lüder traf die verstörten
Kinder und Margit im Wohnzimmer an.
Er kniete vor seiner Partnerin nieder, die sich bis
jetzt beherrscht hatte. Nun aber, in seiner Gegenwart, brachen alle Dämme. Sie
fiel in seine Arme und begann hemmungslos zu weinen.
Nachdem Lüder eine Weile beruhigend auf seine Familie
eingeredet hatte, stahl er sich in die Küche, um Margit ein Glas Wasser zu
holen. Dabei hatte er das erste Mal Gelegenheit, einen Blick auf den Vogelkäfig
zu werfen.
Er rief den Kriminaldauerdienst an, damit die Beamten
mit der Spurensicherung beginnen konnten. Gegen Margits Widerstand verständigte
er auch den ärztlichen Notdienst.
Erst nachdem der Arzt und die Kripo eingetroffen waren
und jeder mit der routinemäßigen Verrichtung seiner Aufgaben begonnen hatte,
fand Lüder Zeit, sich die Ereignisse durch den Kopf gehen zu lassen.
»Da ist ein Profi eingestiegen«, erklärte der jüngere
Beamte, der die Eingangstür untersuchte. »Es ist fast nichts zu sehen. Ich
denke, wir werden das Türschloss ausbauen und im Labor analysieren. Aber es
sieht so aus, als hätte der Einbrecher keine Spuren hinterlassen. Wissen Sie
schon, was entwendet wurde?«
Lüder schüttelte den Kopf. Das hatte er noch nicht
geprüft. Komisch, dachte er, es gilt immer noch die alte Weisheit, dass der
Schuster die schlechtesten Schuhe hat. Natürlich war ihm als erfahrenem
Kriminalbeamten klar, dass Prävention das beste Mittel gegen kriminelle
Machenschaften ist. Er selbst hatte sich aber bei seinem eigenen Heim nie
Gedanken darüber gemacht, wie man über den konventionellen Schutz hinaus das
Haus gegen unerwünschte Eindringlinge besser hätte absichern können.
Wer tat so etwas? Wer drang bei einem Kriminalrat ein
und riss einem Wellensittich den Kopf ab? Für Lüder war es klar, dass mit
dieser brutalen Geste ein Zeichen gesetzt werden sollte. Wir wissen, wer du
bist und wo du wohnst, wollten ihm die unsichtbaren Gegner zeigen. Wir lassen
nicht mit uns spaßen. Wollte man ihn mit dieser Drohung gegen seine Familie einschüchtern?
Drohungen gegen Polizeibeamte waren Gott sei Dank sehr
selten. Aber Lüder Lüders wollte sich nicht einschüchtern lassen. Einen
Holsteiner kann man nicht verschrecken, dachte er grimmig. Auch nicht, wenn man
Staatsanwalt Kremer den Fall entzogen hatte und die Kieler Kripo ausbooten
wollte.
Der Arzt hatte derweil versucht, Margit zu überreden,
vorsichtshalber das Krankenhaus aufzusuchen. Beharrlich weigerte sie sich. Erst
als Lüder den Mediziner unterstützte, ließ sie sich überreden.
»Wer versorgt die Kinder?«, hatte sie angstvoll
gefragt. Doch auch darum kümmerte sich Lüder. Er rief seine Eltern in
Kellinghusen an, packte die Koffer und brachte die Kinder in das idyllische
Mittelholstein, wo sie in Opas Garten aus der direkten Schusslinie waren.
Auf der Rückfahrt rief er Hauptkommissar Vollmers an.
»Wir sind aus dem Geschäft«, gab der zu verstehen.
»Man hat uns kommentarlos den Fall entzogen. Es soll sich um eine Anweisung aus
dem Ministerium handeln. Wissen Sie Näheres?«
»Ich kann das bestätigen. Aber noch ist der Kuchen
nicht gegessen. Der Staatsanwalt hat noch ein Eisen im Feuer.« Es tat Lüder
leid, dass er den engagierten Leiter der Mordkommission nicht über
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