Tod an der Förde
Praxis
erfahren, dass unsere Ideale von Recht und Gesetz, wie sie uns während des
Studiums vermittelt wurden, nicht realisierbar sind. Da gilt es oft,
Kompromisse zu schließen und manchmal auch mangels hinreichender Beweislage mit
einem Grummeln im Bauch einen Straftäter frei ziehen zu lassen. Aber dass ich
unter Druck gesetzt werde und man mich zum Rechtsbruch nötigen will, das habe
ich noch nicht erlebt.«
Beate sah ihren Mann an. Die Augen waren zu schmalen
Schlitzen geworden, die Lippen presste er fest aufeinander. Erneut spielte er
nervös mit seinem Glas.
»Hast du mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt
gesprochen? Was sagt der dazu?«
Falko Kremer blickte seine Frau an.
»Ausgerechnet jetzt hat Dr. Hölderlin Urlaub.«
»Und du hast dich mit keinem anderen abstimmen
können?«
Kremer setzte zur Antwort an, als er durch das Läuten
der Türglocke unterbrochen wurde.
»Unverschämtheit. Jetzt kommen diese Burschen sogar
schon bis an die Haustür«, schimpfte er und wollte aufstehen, aber Beate hielt
ihn zurück.
»Wenn du das ignorierst, zieht der Besucher von allein
wieder ab.«
Kremer ließ sich wieder in den Sessel fallen.
»Da magst du Recht haben.«
Dann schwieg er wieder vor sich hin.
Erneut klingelte es an der Haustür.
»Die wecken noch die Kinder.« Kremer war aufgestanden.
Sein Zorn war ihm deutlich anzumerken. »Denen werde ich jetzt ein paar
unfreundliche Worte sagen«, sagte er und ging mit raschen Schritten zur
Haustür.
Beate hörte, wie er den von innen steckenden Schlüssel
umdrehte und die Tür öffnete.
Undeutlich hörte sie ein paar leise gesprochene Worte,
auf die Falko klar und deutlich antwortete: »Ja, das bin ich. Und ich finde es
unerhört, dass Sie mich zu Hause behelligen. Ich werde …«
Mitten in seine Worte hinein fiel ein Schuss. Beate
Kremer hatte noch nie in der Wirklichkeit einen Schuss gehört, sondern kannte
dieses Geräusch nur aus dem Fernsehen. Sie war sich aber ganz sicher, dass
jemand geschossen hatte. Kurz darauf vernahm sie, dass jemand auf die Stufen
der hölzernen Treppe stürzte, die gleich neben der Tür ins Obergeschoss führte.
Mit einem lauten Krachen knallte die Haustür gegen die Wand, ein Laut, der ihr
mehr als vertraut war, wenn die Kinder ins Haus stürmten.
Für den Bruchteil einer Sekunde, der ihr wie eine
Ewigkeit erschien, saß sie wie gelähmt auf dem Sofa, bevor sie hochsprang und
durch den kurzen Flur zur Tür eilte.
Falko Kremer war nach hinten getaumelt, gegen den
hölzernen Treppenpfosten gefallen, abgerutscht und lag seitlich verrenkt vor
der offenen Haustür.
»Falko, was ist geschehen?«, stieß Beate hervor,
beugte sich nieder und nahm den Kopf ihres Mannes in ihre Hände. Entsetzt ließ
sie ihn sofort wieder fallen, sodass der Hinterkopf auf die Fliesen schlug.
Blut verteilte sich über die Bodenfliesen.
»Mein Gott«, stammelte Beate entsetzt und fuhr sich
mit beiden Händen durchs Gesicht, um sich anschließend ans Herz zu fassen. Sie
spürte, wie ihr Kreislauf zusammenbrach, und suchte Halt am Geländer der
Kellertreppe.
Nur mit Mühe konnte sie sich festhalten. Immer noch
starrte sie auf das entsetzliche Bild, das sich ihr bot. Dort, wo vorher das
Gesicht ihres Mannes war, befand sich jetzt nur noch ein undefinierbares Etwas.
Dann wankte sie rückwärts ins Wohnzimmer und suchte das Telefon, bis ihr
einfiel, dass Falko es in den Keller getragen hatte. Sie stolperte die Treppe
hinab und fand das Gerät auf dem Schreibtisch des Arbeitszimmers.
Tränen waren ihr in die Augen geschossen, und sie
konnte die Tasten auf dem kleinen Apparat nicht mehr erkennen. Mit dem
Handrücken wischte sie sich die Augen aus und tippte dann die Notrufnummer ein.
Eine ruhige, besonnene Stimme meldete sich. »Polizei
Kiel.«
Beate wollte etwas sagen, aber sie bekam keinen Ton
heraus. Ihre Stimme versagte. Dann spürte sie, wie eine kalte Hand nach ihr
griff und tiefe Dunkelheit sie umhüllte.
*
Vollmers Nachricht hatte Lüder zu Hause erreicht. Nach
dem Gespräch mit Kriminaldirektor Nathusius war er noch ins Krankenhaus
gefahren und hatte Margit besucht. Es ging ihr nicht gut. Der Stationsarzt, den
Lüder als Einzigen noch erreicht hatte, war aber zuversichtlich, dass Mutter
und Kind den Schock gut überstehen würden, sofern ihnen jetzt Ruhe ermöglicht
und jede Aufregung ferngehalten würde.
Nach dem Besuch bei Margit hatte er noch einen
Abstecher zu der Station gemacht, auf der Ivanna Krucowa lag. Die junge
Prostituierte hatte
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