Tod an der Förde
fest geschlafen, als Lüder das Krankenzimmer betreten
hatte. Eine Schwester, die aufmerksam genug war, ihn anzusprechen, hatte ihm
aber versichert, dass sich der Zustand der Patientin stabilisiert hätte.
Nun hielt er vor dem Reihenhaus in der Kieler
Vorortgemeinde Flintbek, dem Heim der Familie Kremer. Er bahnte sich einen Weg
durch den Ring der Neugierigen und überwand die weiträumige Absperrung des
Tatorts. Vor dem Haus und im Flur wimmelte es von Leuten in weißen Schutzanzügen.
Es waren die Beamten der Spurensicherung und die Mitarbeiter der Rechtsmedizin.
Unter den Uniformierten und Zivilisten entdeckte er Hauptkommissar Vollmers.
Als der Lüder sah, kam er ihm ein paar Schritte entgegen. Vollmers war blass.
»Ich habe schon viele Tote gesehen, darunter auch
Opfer, deren Anblick wenig appetitlich war. Aber dies hier … Das war eine
brutale Hinrichtung, wie ich sie in dieser Form noch nicht erlebt habe«,
erklärte Vollmers. Dann schilderte er Lüder, wie sie Kremer vorgefunden hatten.
»Nach dem Notruf waren die Kollegen von der örtlichen
Schutzpolizei hier aus Flintbek zuerst am Tatort. Sie fanden Kremer im Eingang
inmitten einer riesigen Blutlache. Was die beiden besonders betroffen machte,
war, dass am Fuß der Treppe die beiden Kinder standen, ein sechsjähriger Junge
und seine dreijährige Schwester. Die Kleinen starrten auf ihren Vater, oder
besser auf das, was von ihm übrig geblieben ist.«
»Wo sind die Kinder jetzt?«
»Im Augenblick werden sie von einer Nachbarin und
einem Geistlichen betreut. Der Kindernotdienst ist alarmiert und auf dem Weg
hierher. Die bringen einen Psychologen mit.«
»Gibt es keine Mutter?«
»Doch. Die hat die Streife im Keller gefunden. Dort
lag das Telefon, mit dem sie Hilfe herbeiholen wollte. Doch während des
Telefonats ist sie umgekippt. Der Notarzt führt die Erstversorgung durch. Dann
wird sie ins Krankenhaus kommen.«
»Ist sie ansprechbar?«
Vollmers schüttelte den Kopf. »Mit Sicherheit nicht.
Die hat einen schweren Schock erlitten und ist vorerst außer Gefecht gesetzt.
Als sie gefunden wurde, war sie über und über mit Blut beschmiert.«
»Wie kommt das?«
»Sie hat den Toten wohl angefasst, ohne zu bemerken,
dass dabei ihre Hände blutig wurden. Dann ist sie sich mit den Händen durchs
Gesicht gefahren, hat sich die Augen gerieben und, vermutlich als sie die
Ohnmacht spürte, noch einmal ans Herz gefasst. Das hinterlässt Spuren.«
»Zeugen?«
»Keine. Gemeinsam mit dem Kriminaldauerdienst haben
wir den ersten Angriff bereits gestartet. Die Wohnzimmer gehen zur Gartenseite
hinaus. Die Bewohner der gegenüberliegenden Straßenseite haben angeblich nichts
gehört. Die Nachbarn zur linken sind nicht da, der rechte Nachbar will einen
Schuss gehört haben und hat auch aus dem Küchenfenster auf die Straße geschaut,
aber nichts gesehen. Der übernächste Nachbar hat den Schuss auch gehört, sich
aber nichts dabei gedacht.«
Während des Gesprächs waren sie langsam zum
Hauseingang geschlendert.
Lüder warf aus der Ferne einen Blick auf den durch
Scheinwerfer hell erleuchteten Tatort. Außer einer zusammengekrümmten Gestalt
und viel Blut war aus dieser Position nichts zu erkennen.
»Gibt es schon Hinweise auf den Tatverlauf?«
»Nur Vermutungen. Kremer muss seinem Mörder selbst die
Tür geöffnet haben. Der Täter hat ihm dann mit einem fast aufgesetzten Schuss
mitten ins Gesicht getroffen. Wir haben das Projektil gefunden. Es ist durch
den Kopf durch und am Hinterkopf wieder ausgetreten. Es steckt in der hölzernen
Garderobenwand. Die Spurensicherung hat es noch nicht entfernt, aber es sieht aus
wie ein Neun-Millimeter-Geschoss.«
»Donnerwetter. Wer reist mit einer Flak durch die
Lande?«
»Wer ermordet kaltblütig Staatsanwälte, die sich nicht
kleinkriegen lassen und dem Druck widersetzen, der von allen Seiten auf sie
ausgeübt wird?«, antwortete Vollmers mit einer Gegenfrage.
Sie schwiegen eine Weile, bis der Hauptkommissar
wieder sprach. »Das ist noch etwas. Der Täter hat möglicherweise ein Handy
verloren. Es ist einem der Neugierigen aufgefallen, als es plötzlich zu
klingeln begann. Der Mann hat es aufgehoben und in die Runde gefragt, ob jemand
sein Mobilfon verloren hat. Nachdem sich keiner meldete, hat er das Gespräch
angenommen.«
»Und, ist ein Gespräch zustande gekommen?«
»Der Anrufer hat nur gefragt: ›Fred, bist du es? Ist
alles gut gelaufen?‹ Und als der Mann antwortete, dass er nicht Fred wäre und
wer das sein
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