Tod an der Ruhr
Beigeschmack«, mischte Kaspar Ostrogge sich in das Gespräch ein. »Man denkt an Lohnhuren, die im Auftrag der Polizei ihre Freier bespitzelt haben, oder an Arbeiter, die ihre Kollegen ausgehorcht und sie wegen ihrer politischen Gesinnung angeschwärzt haben. Dabei würde ich nicht mal diese Leute verurteilen. Wenn verbrecherische und radikale Elemente die öffentliche Ordnung gefährden, ist es dann nicht Bürgerpflicht, die Obrigkeit davon in Kenntnis zu setzen?«
Grottkamp nickte. Kerseboom stopfte wortlos seine Pfeife.
»Na gut, darüber mag man geteilter Meinung sein«, gab Ostrogge zu. »Aber in diesem Fall droht doch der Hüttengewerkschaft eine erhebliche Gefahr. Und was der Hütte schadet, das schadet am Ende ganz Sterkrade. Wir müssen unbedingt wissen, was der Engländer hier will. Schade, dass er am liebsten mit Hüttenarbeitern redet. Wenn er genauso gerne mit Gastwirten sprechen würde, dann hätte ich ihm schon längst auf den Zahn gefühlt.«
Arnold Kerseboom winkte ärgerlich ab. »Dieser Banfield ist doch kein Verbrecher. Er ist ein netter junger Mann, der ein paar verrückte Ideen im Kopf hat. Eure Sorgen scheinen mir reichlich übertrieben. Glaubst du wirklich allen Ernstes, dass Edward Banfield im Auftrag der englischen Industrie hier in Sterkrade ist?«, wollte er von Martin Grottkamp wissen.
Der nickte. Jetzt ahnte er, wie er den Freund überzeugen konnte. »Unsere Stahl- und Hüttenwerke und die englische Stahlindustrie, die tragen seit Jahrzehnten einen erbitterten Konkurrenzkampf aus. Was ich da gestern alles gehört habe, von Englandreisen unter falschem Namen zum Beispiel oder von nächtlichen Einbrüchen in die Werke der Konkurrenz, das war schon starker Tobak. So, wie die Dinge stehen, ist es wirklich nicht abwegig, dass die Engländer versuchen, ihre lästige preußische Konkurrenz mit allen Mitteln auszuschalten. Haniel selbst schien ziemlich besorgt. Um Schaden von der Hüttengewerkschaft abzuwenden, wüsste er verdammt gerne, was dieser Engländer vorhat und wer seine Hintermänner sind.«
»Um Schaden von der Hütte abzuwenden, also?«, brummte Kerseboom und zog heftig an seiner Pfeife.
»Von der Hütte und damit von Sterkrade«, bestätigte Grottkamp.
»Und wie stellst du dir das vor? Dass ich jetzt auf einmal Interesse an Banfields krausem Geschwätz haben soll, nachdem ich ihm bei unserem ersten Gespräch eine Abfuhr erteilt habe, das ist ja schon seltsam genug. Ich könnte natürlich sagen, dass ich noch mal über seine Ideen nachgedacht hätte und sie jetzt doch ganz interessant fände. Aber dann? Soll ich mir etwa Notizen auf einem Blatt Papier machen? Wenn Banfield eine Stunde lang auf mich einredet oder noch länger, wie soll ich mir da alles merken, was von Bedeutung sein könnte?«
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, gab Grottkamp zu.
»Am besten wäre es natürlich, wenn der Martin bei deinem Gespräch mit dem Engländer zuhören könnte«, sagte Kaspar Ostrogge zu Kerseboom.
»Das ist doch Quatsch«, meinte der.
»Wie sollte das denn gehen?«, fragte Grottkamp.
Der Wirt tätschelte grinsend seinen Wanst. »Eine Idee hätte ich da schon.«
»Dann lass mal hören!«, sagte Kerseboom.
»Den kleinen Tisch da hinten«, Ostrogge deutete mit dem Kopf auf ein abseits stehendes quadratisches Tischchen, »den könnten wir ganz in die Ecke schieben, vor die alte Tür zum Vorratskeller.«
»Ich weiß nicht recht.« Grottkamp ahnte, worauf der Wirt hinauswollte.
»Hinter der Tür ist ein Absatz, groß genug, um einen Hocker drauf zu stellen. Erst dahinter geht’s runter in den Keller. Also, wenn du dich hinter die Tür hockst«, sagte Ostrogge zu Martin Grottkamp, »und der Arnold sitzt mit dem Engländer direkt davor, dann kannst du jedes Wort der beiden verstehen. Durch die Astlöcher und Fugen im Holz kannst du sie sogar beobachten. Und weil es auf deiner Seite stockfinster ist, kann Banfield dich nicht sehen. Nur leise sein musst du, dann wird er dich nicht bemerken.«
»Und wenn ich mal husten muss oder niesen?«, fragte Grottkamp skeptisch.
»Dann huschst du runter in den Keller und schlüpfst in den Vorratsraum.«
»Und wenn jemand hier oben was von den Vorräten braucht, was passiert dann?«, wollte Kerseboom wissen.
»Das lasst mal meine Sorge sein«, sagte der Wirt. »Den Schlüssel, den trage ich immer bei mir. Und wenn wir unbedingt an die Vorräte müssten, dann könnte ich über den Hinterhof gehen. Von da gibt’s auch noch
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