Tod an der Ruhr
ja, da wünsch ich mir manchmal, ich wäre ein Kutscher geworden oder ein Besenbinder.«
Dechant Witte seufzte noch einmal. »Genau darüber wollte ich mit dir sprechen, Jacob«, sagte er. »Ich weiß, dass du es alleine nicht schaffen kannst in der Cholerabaracke. Du hast mir ja schon vor ein paar Tagen gesagt, wie sehr dich dieser untragbare Zustand bedrückt. Also, um es kurz zu machen: Ich habe mich an die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern in Münster gewandt. Die Mutter Oberin kenne ich schon seit vielen Jahren. Ich habe ihr in einem Brief die Lage hier in Sterkrade geschildert und sie gebeten, uns zwei ihrer Schwestern zu entsenden, die erfahren in der Krankenpflege sind.«
»Und, was hat die Oberin geantwortet?«, fragte Möllenbeck hoffnungsvoll.
»Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis wir eine Antwort aus Münster erhalten«, vermutete Pfarrer Witte. »Ich wollte es dir nur schon sagen, damit nicht irgendwann zwei Nonnen vor der Cholerabaracke stehen und du von nichts weißt. Und ich wollte mich auch noch mal vergewissern, dass es dir recht ist.«
»Aber natürlich, Hochwürden! Zwei erfahrene Pflegerinnen! Das wäre ein Geschenk des Himmels, für die Kranken und natürlich auch für mich.«
»Gut!« Dechant Anton Witte rieb sich die Hände. »Ich glaube fest daran, dass es klappen wird, Jacob Möllenbeck. Wir werden bald Hilfe bekommen!«
»Verzeihen Sie, Hochwürden.« Grottkamp hatte nur wenig von dem Gespräch des Pfarrers und des Heildieners mitbekommen. Zu viele Gedanken schwirrten immer noch durch seinen Kopf. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir Ihre Rosen ein wenig näher ansehen würde?«
»Natürlich nicht, Martin.« Dechant Witte lächelte ihm aufmunternd zu. »Du solltest aber nicht nur schauen. Du solltest vor allem riechen. Jede Sorte hat ihren einzigartigen Duft.«
Als Grottkamp gedankenverloren zwischen den Rosenbeeten des Pfarrhausgartens herumspazierte, sagte Jacob Möllenbeck: »Ich habe da noch ein Anliegen, Herr Pfarrer. Es hängt auch mit der Cholera zusammen. Als ich noch Militärlazarettgehilfe in Köln war, da wurde viel über einen jungen Priester gesprochen, der eine neue Heilmethode entwickelt hatte. Die war so erfolgreich, dass die Menschen ihn den Cholerakaplan nannten. Aus meinen Aufzeichnungen, von damals geht hervor, dass der junge Kaplan Sebastian Kneipp hieß und 1854 in Boos tätig war. Das muss irgendwo im Königreich Bayern sein. Ich würde diesem Priester zu gerne einmal schreiben. Nur weiß ich nicht, wie sich herausfinden lässt, wo der geistliche Herr jetzt tätig ist. Könnten Sie mir da einen Rat geben?«
»Boos, das müsste im Bistum Augsburg sein«, überlegte Anton Witte. »Sebastian Kneipp heißt der Konfrater?« Der Dechant dachte nach. »Also, ich habe da vor kurzem was gelesen über einen heilkundigen Geistlichen aus der Diözese Augsburg. Ein Arzt hatte ihn angezeigt, weil der Priester ihm ins Handwerk gepfuscht haben soll. Als die Kirchenoberen den Konfrater zur Rechenschaft zogen, hat er eine bemerkenswerte Verteidigungsschrift an das bischöfliche Ordinariat zu Augsburg gerichtet. Daraus wurde allerlei zitiert in dem Bericht, den ich gelesen habe. Ich werde heute noch nachsehen, ob es da tatsächlich um deinen Sebastian Kneipp geht. Wenn das so ist, dann wissen wir auch, wo er jetzt tätig ist.«
»Das wäre großartig«, sagte Möllenbeck erfreut.
»Und welche Sorgen bedrücken den Herrn Polizeisergeanten?«, fragte Pfarrer Witte.
Grottkamp setzte sich wieder auf die Bank.
»Es sind wohl geringere als die des Herrn Heildieners«, antwortete er ausweichend.
»Ich habe gehört, dass du Nachforschungen über das Leben des verstorbenen Julius Terfurth anstellst. Glaubst du nicht, dass sein Tod ein Unglücksfall war?«
»Nein, Hochwürden. Es deutet einiges darauf hin, dass er getötet worden ist.«
»Gebe Gott, dass du dich irrst«, sagte Dechant Witte, bekreuzigte sich und seufzte.
»Wenn du das Leben dieses Sünders beleuchtest«, vermutete er, »dann wirst du wohl manches erfahren, was einen aufrechten Menschen bedrücken kann.«
Nach einem weiteren tiefen Seufzer fügte er hinzu: »Wie auch immer es zu Ende gegangen ist mit dem Hammerschmied Julius Terfurth – es war das unselige Ende eines unglücklichen Lebens. Das ist gewiss. Möge unser himmlischer Vater der armen Seele gnädig sein!«
Grottkamp riss die Tür zum Pitterkasten auf und sprang mit ein paar großen Schritten in den Holzschuppen. »Wer da?«,
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