Tod auf Cabrera - Mallorca-Krimi
nochmaligen
»Hallo?« in den Bauch des anderen Schiffes hinunter. Das Frösteln, das Angelika
in diesem Moment empfand, wurde nicht vom Wind verursacht.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis
Ralf wieder an Deck erschien. Er war kreidebleich. »Ruf die Polizei. Ich geh zum
Büro des Hafenmeisters«, sagte er mit einem Kratzen in der Stimme, »da unten
liegt eine tote Frau.«
***
Kriminaloberkommissarin
Oda Wagner lehnte sich an die Arbeitsfläche ihrer Küche, biss in eine halbe
Scheibe Graubrot mit Erdbeermarmelade und sprach mit vollem Mund. »Du musst
noch deine Rumpelkammer ausmisten.«
»Och Mama! Mach
ich ja.« Alex, ihr siebzehnjähriger Sohn, saß vollkommen entspannt am
Küchentisch, studierte den Sportteil des »Wilhelmshavener Kurier« und sagte,
als sei der Umzug eine lästige Nebensache und in keinster Weise der Rede wert:
»Barcelona hat klar gegen Manchester United gewonnen. Drei zu eins. Die haben
aber auch gezaubert, Mannomann.«
»Alex. Fußball
interessiert mich jetzt nicht. Du musst deinen Saustall ausmisten und Kisten packen,
bis Samstag ist es nicht mehr lang.«
»Mama. Heute ist
Dienstag. Bis Samstag hab ich noch jede Menge Zeit. Keine Panik, es klappt
schon alles.« Er lächelte ihr aufmunternd zu, doch im Gegensatz zu sonst wirkte
es heute nicht beruhigend auf Oda. Sie fühlte sich mehr als angespannt.
In den letzten
Nächten war sie immer wieder hochgeschreckt und hatte sich gefragt, ob sie die
richtige Entscheidung getroffen hatte. Viel Schlaf hatte sie deshalb nicht
bekommen, und dass Alex alles so gelassen anging, machte die Sache für sie
nicht einfacher. Immerhin würde der Umzug ihr Leben verändern, auch wenn sie
sich immer wieder selbst zu beruhigen versuchte, indem sie sich sagte, dass sie
ja keinen Ehevertrag unterschrieb, sondern lediglich mit Jürgen eine gemeinsame
Wohnung bezog. Dennoch: Ihr kleines Nest aufzugeben, in dem sie seit dem
Scheitern ihrer Ehe mit ihrem Sohn Alex gewohnt hatte, war kein leichter
Entschluss gewesen. Oda war stolz darauf, in ihrem Leben und dem ihres Sohnes
alles allein auf die Reihe zu bekommen und auf keinen angewiesen zu sein, und
sie hatte sich fest vorgenommen, ihre Eigen- ständigkeit nicht an der neuen
Wohnungstür abzugeben. Gleiche Augenhöhe, das war das Maß, das sie an ihr
Zusammenleben mit Jürgen legte. Denn noch einmal wollte sie eine solche
Verletzung wie die, die ihr Exmann ihr zugefügt hatte, nicht zulassen.
Eigentlich hatte
sie sich damals sogar vorgenommen, das Kapitel Männer gänzlich aus ihrem Leben
zu streichen. Das hatte auch super geklappt, bis ihr Jürgen über den Weg gelaufen
war. Jürgen Töpfer, der gerade beim »Wilhelmshavener Kurier« angefangen hatte,
war damals in die Polizeiinspektion gekommen, um sie über den Mord an einem
Museumsdirektor zu befragen. Zunächst hatte sie den Verdacht gehegt, Jürgen
würde sie lediglich als Informationsquelle nutzen und ihren Single-Status
dementsprechend gnadenlos missbrauchen wollen, aber sie hatte schnell
festgestellt, dass Jürgen an der Person Oda und nicht an ihrer Funktion als
Oberkommissarin interessiert war. Seit anderthalb Jahren waren sie inzwischen
zusammen, und es war Jürgens Idee gewesen, endlich auch eine gemeinsame Wohnung
zu beziehen. Odas Einwand, sie sollten warten, bis Alex mit dem Abitur durch
und ausgezogen wäre, hatte Jürgen vom Tisch gewischt. Nein, er wolle tatsächlich
ihr Lebensgefährte sein, und dazu gehörte eben, dass sie auch zusammenwohnten.
Außerdem sei Alex ja nicht nur ein Stück von ihr, sondern Jürgen und er seien
inzwischen wirklich gute Freunde geworden.
Sie hatten Alex
mit eingebunden in die Wohnungssuche und letztlich eine Wohnung gefunden, die
wie diese hier im Villenviertel lag. Die vergangenen Wochenenden hatten aus
Maler- und Renovierungsarbeiten bestanden. Beim Verlegen des Laminats waren
Jürgen und Alex unschlagbar gewesen, und die ersten Umzugskisten, diejenigen,
die Odas Winter- und Weihnachtskrams enthielten, standen schon im Keller der
neuen Wohnung. Die brauchte sie im Juli ja nicht.
Erneut versuchte
Oda, bei Alex auf Zustimmung zu stoßen. »Heute. Bitte. Ich steh total unter
Strom«, gestand sie. »Ich kann es nicht aushalten, wenn ich hier rumrödel wie
eine Blöde und du so tust, als sei alles wie immer. Heute Nachmittag sind
Ausmisten und Packen angesagt.« Ihr Tonfall war jetzt etwas bestimmter, denn ab
und zu brauchte ihr Sohn die klare und direkte Ansage. Sie würde nicht alles
allein machen.
»Mama! Wenn
Weitere Kostenlose Bücher