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Tod auf Cabrera - Mallorca-Krimi

Tod auf Cabrera - Mallorca-Krimi

Titel: Tod auf Cabrera - Mallorca-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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erklärlich, aber ist dieses Verhalten auch für die Söhne
und Töchter, ja sogar für die Enkel und Urenkel angemessen? Wir alle wissen, zu
welchen Grausamkeiten sich ein Mensch hinreißen lassen kann, wenn er einer
Massenhysterie erliegt. Selbst dann, wenn er nur einen kleinen Vorteil für sich
erhaschen will. Und um wie viel schlimmer können die Taten eines Menschen sein,
der im Krieg um sein Leben kämpft, wenn es heißt: er oder ich. Wir, die wir
hier sitzen, haben das Gott sei Dank nicht erleben müssen. Die Menschen, die
sich damals für die eine oder andere Seite entschieden haben, sind fast alle
tot. Wir Nachkommen haben kein Recht, unsere Altvorderen wegen ihrer
Entscheidungen zu verurteilen. Wir nicht und erst recht nicht die Mitglieder
anderer Familien oder politischer Gruppierungen. Wir, die wir heute das Sagen
haben, sind jedoch dazu verpflichtet, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Es darf auf Mallorca nie wieder dazu kommen, dass zwischen den Menschen nur
noch Waffen sprechen, dass Hass, Mord und Totschlag herrschen.«
    García Vidal machte eine dramatische Pause. Dann ließ er die Bombe
platzen. »Vor uns liegen Ángel Bauzá und Pepe Álvarez. Sie wurden kaltblütig
umgebracht. Wir wissen nicht, von wem, wir wissen nicht, warum. Vielleicht ist
jemand unter uns, der diese Fragen beantworten könnte, jedoch aus falschen
Gründen glaubt, schweigen zu müssen. Darum lasst uns Frieden schließen und uns
über ihren Gräbern die Hände reichen.« Er sah sich aufmerksam um. Seine kurze
Ansprache schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Er sah betroffene Gesichter
und registrierte zufrieden, dass er vielen Anwesenden aus dem Herzen gesprochen
haben musste. »Die Alten unter uns werden die Anordnung der Särge kennen. Gleich
wird der Katafalk von einem Sichtschutz umschlossen sein. Ich bitte die beiden
Familien, jeweils zwölf ihrer ältesten Mitglieder auszuwählen, die dann einzeln
vortreten, um neben einem der Särge eine Kerze aufzustellen. Brennt sie, so ist
derjenige für eine Versöhnung. Bleibt sie unangezündet, ist er oder sie
dagegen. Da jeder der vierundzwanzig Stimmberechtigten mit seinem Gewissen
allein hinter dem Vorhang ist, wird es für ewig ein Geheimnis bleiben, wer mit
Ja und wer mit Nein gestimmt hat. Damit niemand Kerzen löschen oder weitere
anzünden kann, wird nach jedem Kandidaten ein Kontrolleur von hinten an der
Vorhang treten, der alles überprüft. Da er nicht sieht, wer vorher abgestimmt
hat, bleibt die Anonymität gewahrt. Brennen nach der Abstimmung achtzehn Kerzen
oder mehr, ist damit die Versöhnung der beiden Familien beschlossen. Dieses
Abstimmungsverfahren entspricht der Tradition, und das Ergebnis ist bindend.«
    Das Raunen, das durch die Reihen ging, hielt sich in angenehmen
Grenzen. Die Stimmung war sogar fast gelöst. Jede Familie hatte innerhalb
kürzester Zeit ihre Kandidaten bestimmt, sodass der Vorhang heruntergelassen
werden konnte. Bevor die erste Person zu den Särgen vorgelassen wurde, setzte
feierliche Orgelmusik ein. Nach einer knappen Viertelstunde war die Abstimmung
beendet, und als der Kontrolleur das Zeichen gab, wurde der Sichtschutz langsam
wieder angehoben. Die Spannung stieg proportional mit jedem Zentimeter. Doch
lange bevor der Vorhang sich vollends gehoben hatte, war das Ergebnis schon zu
erahnen, denn um die Särge herum war es sehr hell. Die Ersten hielt es nicht mehr
auf ihren Sitzen. Als man schließlich deutlich sehen konnte, dass
dreiundzwanzig Kerzen brannten, herrschte verhaltener Jubel in der Kirche. Die
beiden Familienältesten erhoben sich, gingen aufeinander zu und umarmten sich.
Nun brach Beifall aus, in den die vielen Ministranten, die Pfarrer und sogar
der Bischof begeistert einfielen. Aus einer Totenmesse war ein Versöhnungsfest
geworden.
    Carmen, die der ebenfalls anwesenden Angela Bischoff die Rede
simultan vom Mallorquinischen ins Deutsche übersetzt hatte, war von ihrem Chef
schwer angetan. »Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Wissen Sie was,
Angela? Sie haben sich da einen wirklichen Supertypen angelacht.«
    Die Beisetzungen von Pepe Álvarez und Ángel Bauzá fanden ebenfalls
im Geiste der neu gefundenen Brüderlichkeit ihrer beiden Clans statt. Zwar
wurden sie auf verschiedenen Friedhöfen beerdigt, jede Familie schickte jedoch
eine kleine Abordnung, die danach auch zum Leichenschmaus geladen wurde.
    Die beiden Familienoberhäupter und der Comisario hingegen nahmen an
keiner der beiden Beisetzungen teil.

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