Tod auf Cabrera - Mallorca-Krimi
bleiben.«
***
In Colonia Sant Jordi begannen die Putzfrauen im »Centro de Interpretación
del Parque Nacional de Cabrera« morgens schon recht früh, die Räumlichkeiten für
den zu erwartenden Besucheransturm wieder herzurichten.
Die Böden mussten täglich mehrfach gefegt und zweimal in der Woche
feucht gewischt werden. Unten, bei den farbenprächtigen Aquarien mit den
unzähligen Meeresbewohnern des Naturschutzgebietes, in dem die Besucher mit dem
Informationsrundgang begannen, lag natürlich am meisten Dreck. Antonia Nadal
war immer die Erste, die unten die mit kunstvollen Ornamenten versehene
Eingangstür aufschloss. Sie hatte auch die Schlüssel für die Stromkästen, um im
Zuschauerbereich für Licht zu sorgen. Als sie heute aber die Tür aufschließen
wollte, bemerkte sie, dass sie schon offen war. Beide Türflügel waren lediglich
angelehnt. So etwas war noch nie vorgekommen, da sie der Direktor des Museums
jeden Abend auf der letzten Gassirunde mit seinem Hund kontrollierte.
Beklommen betrat sie den Raum. Vor dem Empfangstresen blieb sie
stehen. Von den Aquarien wurde der gesamte Eingangsbereich in ein bläuliches
Licht getaucht, sodass sich jeder Besucher sofort als Gast einer faszinierenden
Unterwasserwelt fühlte. Sosehr sie sich auch bemühte, etwas Ungewöhnliches zu
entdecken, es wollte ihr nicht gelingen, alles schien normal zu sein. Dennoch beschloss
sie, lieber auf eine ihrer Kolleginnen zu warten, damit sie diese Ebene des
Museums zu zweit erkunden konnten, und stellte sich lieber wieder vor die
Eingangstür. Kurze Zeit später tippte ihr Ines vergnügt auf die Schulter.
»Na, altes Mädchen? Was stehst du hier herum und träumst? Ich habe
gehofft, dass du die Arbeit schon erledigt hast.«
»Guten Morgen. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe mich nicht
allein reingetraut. Die Tür war nicht verschlossen.«
Ines zog die Stirn kraus. »Sie war offen?«
»Ja.«
»Ist Toma denn krank? Der geht doch abends immer mit seinem Pinscher
auf Patrouille.«
»Ich schwöre dir, sie war offen.«
»Ich glaube dir ja.«
Ines fasste sich ein Herz und ging voraus. Antonia folgte ihr ängstlich.
Sie gingen vorsichtig um den Empfangstresen herum. Ines nahm den Schlüssel
ihrer Kollegin, schloss den Stromkasten auf und klappte den Zentralschalter für
die Gangbeleuchtung herunter. Nun konnten sie den Bereich hinter dem Tresen
einsehen.
»Siehst du?«, meinte sie erleichtert. »Hier ist nichts. Es wäre ja auch
hirnrissig, in einem Museum die Kasse aufzubrechen, das keinen Eintritt nimmt.«
Raum für Raum, Gang für Gang erkundeten sie zusammen die gesamte
untere Etage, fanden aber nichts.
»Vielleicht ist der Hund eingegangen, und Toma ist aus lauter Verzweiflung
vorm Fernseher eingeschlafen. Hier, meine liebe Antonia, ist jedenfalls
niemand, schon gar kein Einbrecher.«
Beruhigt machten sie sich an die Arbeit.
Antonia war insgeheim ein wenig entsetzt darüber, wie ängstlich sie
auf die unverschlossene Tür reagiert hatte. Sie kam sich vor wie ein
hysterischer Teenager. Verlegen ging sie zu Ines, die am anderen Ende des
Ganges den Boden fegte.
»Du, Ines, es tut mir leid, dass ich vorhin so seltsam war. Ich …«
Sie verstummte, als sie im Gesicht ihrer Kollegin plötzlich alles andere als
die gewohnte Unbekümmertheit entdeckte. In Ines’ Augen spiegelte sich das
nackte Grauen. Das riesige Aquarium in Antonias Rücken ließ ihr Gesicht durch
sein blaues Licht noch grotesker aussehen. »Hör mal, Liebchen, hast du was?«
Ines hob stumm ihre Hand und zeigte auf etwas, was sich hinter
Antonia befand. Langsam drehte diese sich um. Das Erste, was sie sah, war ein
kleiner Riffhai, der gemütlich seine Runden zog. Ihr Blick wanderte weiter.
»D-da, die Muräne«, stammelte Ines.
Antonia ließ ihren Blick über die Felswand gleiten, in der dieses
Vieh irgendwo seinen Bau haben musste. Nun gefror auch ihr das Blut in den
Adern.
Die Muräne war gerade dabei, genüsslich eines der weit aufgerissenen
Augen eines jungen Polizisten der Guardia Civil zu
verspeisen, der in seiner Dienstkleidung und mit einem Bein an einen großen
Stein gebunden wie ein lebensgroßer Hampelmann in der seichten Strömung des
Beckens schwebte und einen grotesken Totentanz vollzog. Ihm gegenüber hing wie
ein aufgedunsenes Michelin-Männchen der Notar Enrique Narratx.
»Madre mia!«, rief sie entsetzt. »Der
junge Mann, das ist doch Antonio Nuñez, Marias Toni! Wie kommen die denn hier
ins Becken? Die können sich doch
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