Tod Auf Dem Jakobsweg
getroffen haben. Allein das konnte erklären, warum sie während all der Tage so still und abgekapselt gewirkt hatte. Und dann hatte sich die Gelegenheit ergeben, eine Kurzschlusshandlung. Aber wie? Hedda war auf dem Pass hinter ihr und damit noch weiter hinter Benedikt aufgestiegen.
Sollte sie mit Jakob darüber reden? Zu kompliziert. Mit Inspektor Obanos. Der war auch in diesem Fall die einzig richtige Adresse.
Leo fischte den Zettel mit seiner Nummer aus ihrem Notizbuch, griff nach dem Telefonhörer — und legte ihn zurück. Es war nach Mitternacht, er würde denken, sie sei betrunken. Gerade erst hatten sie und Nina ihn davon überzeugt, Dietrich sei womöglich ermordet worden, nun sei sein Sohn in Gefahr, und jetzt diese neue, noch weniger zu beweisende Geschichte? Wegen des Todes von Ninas Bruder war wenig Überzeugungskraft nötig gewesen, letztlich gar keine, Obanos war selbst auf dieser Spur. Wenn sie jedoch mitten m der Nacht anrief und begann, ihm diese Geschichte mit diesem Verdacht zu erzählen, musste er sie endgültig für hysterisch halten. Vielleicht hätte er damit recht.
Es hatte Zeit bis morgen. Wenn Hedda die Reise bis jetzt fortgesetzt hatte, würde sie so kurz vor dem Ziel und in der Gewissheit, dass Benedikt sich nicht erinnerte, kaum plötzlich verschwinden. Dann wollte sie wie alle mit dem gebuchten Flug zurückkehren. Morgen konnte sie den Inspektor anrufen, ein Treffen vereinbaren und — und dann würde man weitersehen.
Mittwoch / 11. Tag
«Ich wusste es immer, Esteban, auf dich ist Verlass. Wer sonst hätte das Rätsel so schnell gelöst?»
«Verlass. Was heißt hier Verlass?» Subinspektor Prisa wusste das emphatische Lob Inspektor Obanos’ nicht zu würdigen. «Ich tue, was mein Chef mir sagt, das ist alles. Selbst wenn er mich an meinem schwerverdienten Feierabend aus Santiago anruft, wo er angeblich Urlaub macht, damit ich für ihn Leute finde, die wie die Hälfe aller Spanier heißen. Und Spanierinnen. Warum hast du nicht die Kollegen in Santiago bemüht’ Die hätten womöglich gleich gewusst, um wen es geht, und mir die Mühe erspart.»
«Weil ich dir, mein lieber Esteban, keine Gelegenheit entgehen lassen möchte, mir einen Gefallen zu tun und deine Fähigkeiten zu beweisen. Denk an deine Karriere. Die Kollegen hier kann ich jetzt viel einfacher bemühen. Und was heißt schon Urlaub? Wir sind doch immer im Dienst.»
«Du vielleicht, ich nicht. Pass auf dich auf, Joaquín. Muss ich dir erzählen, dass mit solchen Geschichten nicht zu spaßen ist? Muss ich nicht! Geh in die Kathedrale, bevor du dich auf die Jagd machst. Bitte den heiligen Santiago um Beistand, vielleicht hat er noch eine Minute Zeit für einen übereifrigen Polizisten. Und vergiss nicht, mich anzurufen, bevor du nach getaner Arbeit in einer Bodega absäufst. Ich will wissen, wie es ausgeht.»
Es machte klack, und Subinspektor Prisa hatte aufgelegt. Obanos lächelte. Der gute Esteban. Er gab sich gern ruppig und zynisch, doch unter seinem Hemd verbarg er ein silbernes Kreuz, und am Armaturenbrett seines Autos klebte eine Christophorusplakette. Die Sache mit Santiagos Beistand hatte er ernst gemeint. Obanos klappte sein Notizbuch zu und widmete sich wieder seinem Frühstück. So früh hatte er nicht mit Estebans Anruf gerechnet, es war klug gewesen, trotzdem einen etwas abseits stehenden Tisch zu wählen. Handys waren im Frühstücksraum nicht erlaubt.
Natürlich hieß nicht jeder zweite Spanier Ruíz, doch immerhin hatte Prisa zwölf Juans dieses Namens aufgetrieben, zwei davon standen nicht im Telefonbuch. Ein Lob dem Polizeicomputer. Fünfmal hatte er nach einer Tochter namens Camilla fragen müssen, bevor er ein Ja hörte. Die war allerdings erst dreizehn Jahre alt, somit die falsche. Der elfte Juan Ruíz endlich hatte eine erwachsene Tochter dieses Namens, und, ja, sie habe bis vor kurzem in einem hostal in der Nähe von Foncebadón gelebt. Nein, hatte Prisa anweisungsgemäß auf die erschreckte Frage des Vaters erklärt, ihr sei nichts passiert, er habe nur noch einige Fragen zum Unfall ihres Mannes. Ja, gewiss, ihres Lebenspartners. Da es in Navarra einen zweiten, ganz ähnlichen Unfall gegeben habe, sei man um die Sicherheit auf dem camino besorgt.
Das fand Señor Ruíz sehr angebracht, allerdings könne seine Tochter wenig dazu sagen, sie sei nicht dabei gewesen, überhaupt niemand Dietrich sei in der Nacht herumgewandert, an einer brüchigen Kante gestolpert, und da sei es
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