Tod Auf Dem Jakobsweg
seine Mitwanderer fleißig die hohe Granitstele mit dem Kopf aus grünpatinierter Bronze fotografierten. Als genug posiert und geknipst war und alle ihre Kamera wieder eingesteckt hatten, zog er die verdutzte Leo neben den stierkampfliebenden Schriftsteller und Freund der Stadt Pamplona und streifte ihre Kapuze zurück.
«Nein», rief sie, aber da machte es schon klick und Felix schob, noch breiter grinsend, die kleine Kamera in die Tasche seines Anoraks.
«Ich will Revanche!», rief Leo. «Stell dich neben den Meister und mach ein Gesicht wie ein Fan.»
Felix schüttelte entschieden den Kopf. «Keine Chance, ich bin ein ganz mieses Modell. Der alte Ernest hatte immer eine Frau dabei, den muss man mit weiblicher Gesellschaft fotografieren. Alles andere würde er übelnehmen, glaub mir, und das können wir nicht brauchen. Pech hatten wir schon genug.»
Kapitel 3
Dienstag
Es war erstaunlich, wie rasch eine Gruppe von nur zwölf Menschen einem geräumigen Reisebus die Anmutung eines Zeltlagers geben konnte. Über freien Sitzlehnen trockneten Regencapes und Windjacken, die Gepäcknetze waren mit Ersatzkleidung vollgestopft, im hinteren Mittelgang schaukelten neben zwei Paar Wanderstiefeln prall mit Obst, Paprikaschoten, Weißbroten und fetten spanischen Würsten gefüllte Tüten für das Picknick zur Mittagszeit. Wasserflaschen wurden durch die Reihen gereicht, erste Souvenirs bewundert. Felix kniete, den Schirm seiner Baseball-Kappe in den Nacken geschoben, rittlings auf seinem Sitz und erörterte über eine leere Bankreihe hinweg mit Eva und Caro die Vor- und Nachteile verschiedener Sorten spezieller Pflaster für wunde Füße. Die beiden Müllers diskutierten so leise wie energisch den Kauf einer Rotweinflasche, die Fritz als ein Schnäppchen empfand und Rita als reinsten Touristen-Nepp. Edith und Selma waren in ihre Reiseführer vertieft, Helene und Sven dösten, ein Bild süßer Eintracht, aneinandergelehnt, sein Arm um ihre Schultern, auf der letzten Bank.
Als der Bus durch die Vororte gerollt war und schließlich Pamplona hinter sich gelassen hatte, hörte es auf zu regnen. Das Land wurde wieder hügelig — in Deutschland spräche man schon von einer Mittelgebirgslandschaft—, und die bleigraue Bergkette am Horizont stellte für die nächsten Tage wieder anstrengende Wanderungen in Aussicht. Zwischen Getreidefeldern, Weideland und ersten, wie mit dem Lineal gezogenen Reihen von Weinstöcken ließ die Feuchtigkeit die Erde rot leuchten.
«Eisenhaltig», erklärte Enno, der sich in die Bank hinter Leo gesetzt hatte, und wedelte mit seinem Reiseführer, der auch geologische Auskünfte gab. «Wie in Oklahoma. Da sieht es auch so rot aus, meilenweit. Weinstöcke haben die dort aber nicht, nur Bohrtürme. Ziemlich öde Gegend.»
Leo grinste, und Hedda runzelte unmutig die Stirn. Vielleicht klang ihr zu sehr nach Chemie anstatt nach romantischer Fremde und den Farben großer spanischer Maler.
«Mit dem Wein», fuhr Enno unbeirrt fort, «wird’s erst heute Abend interessant, dann sind wir im Rioja-Gebiet. Schwere Weine da, gute tropfen allesamt. Vor allem, wenn sie noch nach alter Tradition im Holzfass gereift sind.»
Leider zeigte niemand Interesse an einem Vortrag über die Wirkung alter Eiche auf die Reifung der Weine, Enno schwieg und sah — wie Hedda auf der anderen Seite — wieder zum Fenster hinaus.
Der Bus verließ die starkbefahrene Landstraße und folgte einem schmalen, gewundenen Asphaltband hinauf in die Hügel. Auch Leo blickte aus dem Fenster, doch sie nahm nichts wahr. Obwohl sie nur wenige Stunden mit Benedikt und Nina verbracht hatte, erschien es ihr über den Schrecken des Unglücks hinaus seltsam, dass sie nun fehlten. Bank drei Reihen hinter Ignacio war leer, niemand hatte darauf Platz genommen. Vielleicht war es Zufall, in dem großen Reisebus blieben etliche Sitze frei, aber das glaubte sie nicht. Ob aus Pietät, Scheu oder Aberglauben, diese beiden Plätze würden frei bleiben. Zumindest für die nächsten Tage, es sei denn, Nina gesellte sich wieder zu ihnen. Auch das glaubte Leo nicht. Sie würde ihren schwerverletzten Freund kaum alleinlassen, erst recht nicht in einer fremden Stadt.
«Wir halten gleich auf einem kleinen Parplatz unterhalb eines Pilgerdenkmals», klang Jakobs Stimme blechern aus den Lautsprechern. «Von dort könnt ihr weit über das Land und auch schon unser nächstes Ziel sehen, zumindest mit dem Fernglas: die
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