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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sogenannte Templerkapelle von Eunate. Aber geht nicht zu weit weg, es ist wirklich nur ein kurzer Stopp für die Fotofreaks unter euch. Dieses Pilgerdenkmal ist nämlich wieder etwas Besonderes, auch wenn es nicht aus dem Mittelalter, sondern aus unserer Zeit stammt.»
    Der Himmel war noch grau, und als sie aus dem Bus stiegen, empfing sie scharfer Wind. Das Land war zwischen Feldern und Wiesen von Buschwerk und struppigem Niederwald durchzogen, Flecken und Streifen wie von grünem Pelz, doch kein Hochwald brach seine Wucht.
    Die Rotorblätter eines Windkraftrades, dem ersten einer sich kilometerweit, einbeinigen Riesen gleich über die Hügel ziehenden Reihe, knarrten fröhlich. Auch die das Denkmal bildenden Gestalten, zwölf aus rostbraunen Metallplatten geschnittene lebensgroße Pilgerfiguren — Männer, Frauen, Kinder—, zeigten, dass Sturm auf diesen Höhen alltäglich war. Zu Fuß, zu Pferd oder einen Esel hinter sich herziehend, stemmten sie sich einer hinter dem anderen mit nach Westen gerichteten Gesichtern gegen den Wind. Wie die vier menschlichen Wanderer auf dem sich hügelabwärts schlängelnden, von leuchtendem Klatschmohn gesäumten sandigen Weg.
    «Sonniger Süden», knurrte Felix, wenig beeindruckt von dem metallenen Pilgerzug, und zerrte die Kapuze seines Sweatshirts bis über die Stirn. «Wie wär’s, Leo? Gibst du dich wieder zur Denkmalsbelebung her?»
    Leo hörte nicht zu. Sie dachte an Frau Siemsen. Sie würde Benedikts Mutter gerne fragen — was? Was wollte sie fragen? Ob ihr Sohn zum Leichtsinn neige? Ob er in Bilbao Männer im grauen Anzug kannte, die selbst im Museum eine Sonnenbrille trugen? Ob er, wie in Ennos schwarzer Phantasie, Kontakte zur Unterwelt, zu Terroristen oder sonstigen Dunkelmännern habe? Frau Siemsen würde begeistert sein.
     
    Die Sonne ließ das Wasser der sich an dieser Stelle zu einem kleinen See erweiternden Billeglitzern. Jenseits der Brücke wurde der Fluss zu einem Kanal, der unter dem Gewirr der Auto- und Eisenbahnbrücken hindurchführte und sich in den Wasserflächen des Hafens verlor. Industriegebiet, Hamburg City Süd. Jetzt im Sommer war dieses Areal mit seinem Buschwerk, den Bäumen entlang der Straßen und den Wasserläufen erträglich, bei diesem strahlenden Wetter sogar von einer herben Romantik. In den grauen Wintermonaten, ohne das wuchernde Grün, war es nur hässlich.
    Auf einem alten Gemälde hatte er die Bille-Mündung — damals noch weit vor der Stadt — als einIdyll gesehen, eine einsame Flusslandschaft mit einem Fischerhaus unter knorrigen Weiden, im Hintergrund ein geduckter Kirchturm, wie es heute noch einige in den Vier- und Marschlanden südöstlich der Stadt gab. Am Steg des Fischers war ein Ewer mit gerefftem Segel festgemacht. Oder war es eine Schnigge? Er kannte sich mit den alten Schiffstypen nicht aus. Wozu auch? Sie waren längst Geschichte. Sein Vater hätte es gewusst. Wie er immer alles gewusst hatte. Auch das war Geschichte. Der alte Mann konnte ihm nicht mehr mit dieser ewig gestrigen Besserwisserei in sein Leben und seine Geschäfte pfuschen. Nur noch in Albträumen, aber das war ein geringer Preis. Auch diese nächtlichen irrealen Schrecken würden vergehen.
    Nie zuvor hatte er vor einer solchen Entscheidung gestanden. Sie hatte ihn gequält, tage-,wochenlang, doch nachdem er sie getroffen hatte, allein, endgültig, unwiderrufbar in die Tat umgesetzt, hatte er nicht mehr gezweifelt. Denn da war ihm etwas begegnet, das er nicht gekannt hatte. Das Gefühl absoluter Macht. Er war zu intelligent, um nicht zu wissen, dass das trügerisch war. Aber er spürte und genoss diese überraschende Wirkung. Er hatte eine Grenze überschritten, die er bis vor wenigen Monaten nicht gesehen und somit nicht in Frage gestellt hatte. Dass er sie nun missachtet, besser gesagt: überwunden hatte, gab ihm endlich die Souveränität, die ein Mann in seiner Stellung für den großen Erfolg brauchte. Das spürten auch die Menschen seiner Umgebung, im Betrieb, in der Familie, bei geschäftlichen Treffen mit denen, die diese Souveränität schon immer hatten. Natürlich erwähnte es niemand, vielleicht war es ihnen nicht einmal bewusst, doch er schien etwas auszustrahlen, das ihm eine neue Art von Respekt einbrachte. Die archaische Achtung vor dem Alpha-Tier. Darum hatte er sich sein Leben lang vergeblich bemüht. Abgestrampelt wie ein Pennäler, der unbedingt Liebling des Rektors sein wollte, die Nummer eins.
    Natürlich war es eine

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