Tod Auf Dem Jakobsweg
dem ehrwürdigen rheinischen Gotteshaus für vergleichbar hielt, konnte mit überraschendem Wissen auftrumpfen. Die achtzig Meter aufragenden gotischen Türme aus dem 15. Jahrhundert, erklärte er, seien das Werk des Baumeisters «Juan de Colonia», des Johannes von Köln.
Für die Kölner hatte er zur Ehre Gottes und in Konkurrenz zu anderen europäischen Kirchen zwei gigantische Türme von etwa hundertfünfzig Metern Höhe geplant. Ihre Errichtung hätte sich über etliche Generationen, wahrscheinlich weit mehr als hundert Jahre hingezogen. Den Stadtvätern war das zu viel und zu teure Ehre. Anno 1410, hundertzweiundsechzig Jahre nach der Grundsteinlegung, drehten sie den Geldhahn für den Dombau zu. Die Kirche wurde zur Bauruine, die Türme wie ein großer Teil der heutigen Kirche erst im 19. Jahrhundert errichtet, weitgehend nach den alten Plänen.
Baumeister Johannes war zu seiner Zeit ein weithin berühmter Mann. Als er um 1440 zum Bau der Kathedralentürme nach Burgos gerufen wurde, brachte er seine alten Ideen vom Rhein an den Río Arlanzón mit. Seine Vorstellung von wahrer Turmhöhe mochte bescheidener geworden sein, in Sachen Schönheit und Meisterschaft filigraner Steinmetzarbeit hatte er keine Abstriche gemacht.
Auf den Stufen vor dem Westportal hockten zwei alte, schwarzgekleidete Frauen, die mit tiefgebeugten Köpfen ihre Hände den Kirchenbesuchern entgegenstreckten.
«Schön dumm», sagte Rita, als Hedda und Leo in ihren Taschen nach Münzen suchten. «Dies ist ein lukrativer Platz zum Betteln. Sicher haben sie ihn gemietet und steigen abends mit den Einnahmen um die Ecke in ihren Mercedes.»
«Du liest die falsche Zeitung.» Hedda gab beiden Frauen eine Münze und bemühte sich, nicht auf die gesenkten Köpfe zu starren. «Betteln ist immer der letzte Ausweg, da kannst du sagen und vermuten, was du willst. Oder findest du es nicht demütigend, nur fürs Handausstrecken Geld zu bekommen?»
«Ach, das ist doch leicht verdient. Ich muss für mein Geld zehn Stunden am Tag arbeiten. Mindestens.»
«Dann versuch es zur Abwechslung doch mal vor eurer Kirchentür.» Hedda stopfte das Portemonnaie in ihren Tagesrucksack und rief, schon am Portal, über die Schulter zurück: «Vielleicht hast du dann weniger Stress.»
«Blöde Kuh», hörte Leo Rita murmeln. Leo schluckte eine Antwort hinunter und beeilte sich aus der Schusslinie und in die Kathedrale zu kommen. An diesem Ort hatte sie keine Lust auf eine fruchtlose Diskussion. Sie war nur neugierig auf die berühmte Kathedrale. Es war ihr ganz recht, dass der Computer, der den Gästen im Hotel zur Verfügung stand, heute Morgen streikte. Nach dem Frühstück hatte Jakob die Adressenliste verteilt, sie hätte sich unter einem Vorwand — sie hatte an Migräne gedacht, obwohl das niemand geglaubt hätte — gleich an die Schnüffelei im Internet gemacht. Inzwischen fand sie es auch ohne das Mysterium des Unfalls spannend, im Netz zu surfen, um ein wenig darüber herauszufinden, mit wem sie reiste und wanderte. Sie hatte flüchtig daran gedacht, es könne indiskret sein, ein Blick durchs Schlüsselloch, und den Gedanken beiseitegeschoben. Die Informationen, die sich im Netz fanden, waren nun mal öffentlich.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis Leo die Jakob und seinen Erläuterungen folgende Gruppe verlor. Sie wich den anderen Besuchern aus, verschloss die Ohren vor den Vorträgen in Englisch, Französisch oder Spanisch, ließ sich treiben und folgte nur ihren Augen.
Sie war nie in Rom gewesen, nur dort konnte ich mehr Pracht und Kunst von Malern, Bildhauern, Schnitzern, Goldschmieden, überhaupt on allen gestaltenden Künsten befinden als hier.
Auf den Altären und ihren Retabeln — diesen weitaufgeschlagenen vergoldeten Bilderbüchern-, In den Wänden, an den sechzig mächtigen Säulen bis unter das Dach waren Tausende von Skulpturen, Statuen, Reliefs zu entdecken. Die Gemälde lind schmiedeeisernen, teilvergoldeten Gitter, das aus Nuss- und Buchsbaumholz geschnitzte Chorgestühl mit seinen hundertdrei Plätzen. Wie oft suchte ihr Auge Erholung im aufwärtsgerichteten Blick. Auch die lichtdurchflutete Kuppel über dem achteckigen Vierungsturm war ein einziges Kunstwerk. Aber leicht in seiner Helligkeit und raffinierten Eleganz der Formen, den sich sternförmig ausfächernden Streben, wie verglaste Spitze aus Kalkstein, voller zierlicher barocker Ornamente, den beiden in schwindelnder Höhe verlaufenden Galerien.
Kein Wunder, dass der Bau eine
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