Tod Auf Dem Jakobsweg
Verschwörungstheorie klingt interessant. Vielleicht hilft es Ihnen beim Nüchternwerden, wenn wir sie auseinandernehmen. Wer, fürchten Sie, könnte an Benedikts Unfall schuld sein? Hat es mit seinem Beruf zu tun?»
Ruth Siemsens Hände schlossen sich fest um den Weinkrug, während sie Leo kurz und prüfend musterte. «Wie kommen Sie darauf?», fragte sie. «Ach, egal. Es ist einfach zu abenteuerlich, ein ganz schlechter Film. Trotzdem, es hat mit seinem Beruf zu tun. Er ist Anwalt, das wissen Sie vielleicht, und arbeitet in einer großen Kanzlei. Ich bin so stolz gewesen, es ist eine Kanzlei mit Verbindungen in der halben Welt. Ich hatte gedacht, so etwas gibt es nur in den USA. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so stolz und weiß, ich war naiv. Sie haben sicher von den Prozessen gegen diesen Bradovic-Clan gelesen. Unsaubere Immobiliengeschäfte, Korruption, Geldwäsche, Anlagebetrug — lauter Millionengeschäfte. Diese Männer werden von einer Gruppe von Anwälten der Kanzlei vertreten, für die Benedikt arbeitet, ja, und bei einem der Prozesse gehörte mein Sohn dazu. Der Angeklagte gilt nur als Randfigur in dem vermuteten kriminellen Netz, er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt. Kurz und gut», sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, «die Anwälte hatten wohl eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt, mit sehr viel Glück sogar einen Freispruch. Das Gericht sah es anders. Es tauchten neue Zeugen auf, es gab neue Beweise — ach, ich weiß nicht, jedenfalls wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ohne Bewährung.»
«Aber Ihr Sohn war doch nur einer der Anwälte. Und hat er nicht vor allem im Hintergrund gearbeitet?»
Ruth Siemsens Blick wurde schlagartig wieder wachsam. «Woher wissen Sie das? Kannten Sie Benedikt schon vor der Reise?»
«Nein», beeilte sich Leo zu versichern, «natürlich nicht. Sie sagten, er arbeite erst seit kurzer Zeit für diese Kanzlei. Außerdem ist er ein noch junger Anwalt, Mandanten dieser Art lassen sich von erfahrenen Spitzenanwälten vertreten.»
«Wenn es ernst wird, von einer ganzen Armee. Entschuldigen Sie, eigentlich bringt mich nichts so schnell aus der Ruhe, aber in diesen Tagen macht mich die Fliege an der Wand misstrauisch. Benedikt gehörte dazu, er war, wie Sie vermuten, nur einer von mehreren. Er hat den großen Kollegen zugearbeitet.»
«Und nun befürchten Sie trotzdem, dass dieses Urteil zu einem Racheakt geführt hat?»
«Befürchte ich das?» Sie nippte an ihrem Tee und rührte eine doppelte Portion Zucker hinein. «Mal ja, mal nein. Benedikt hatte mehrfach Kontakt zu diesem Mandanten, der mochte meinen Sohn, vielleicht weil er ihm vom Alter her am nächsten war. Vielleicht glaubte er auch, er könnte auf ihn Eindruck machen. Er hat davon geredet, dass er ihm besonders lukrative Aufträge verschaffen will, sobald er aus der Untersuchungshaft entlassen ist. Ich denke, er wollte sich nur wichtig machen, ein Angeber. Andererseits heißt es, er sei ein Liebling des Clan-Chefs, ein möglicher Schwiegersohn in spe. Mein Gott», ihr Mund verzog sich zu einem bitteren Lachen, «das hört sich an wie eine mittelalterliche Ritterschmonzette.»
«Da sind wir in der richtigen Region», sagte Leo, «hier wimmelt es von mysteriösen Abenteuer- und Rittergeschichten.» Sie bereute den Satz sofort, er musste Ruth Siemsens Phantasien anfachen wie der Wind das Feuer. «Wäre das nicht zu umständlich und aufwendig?», fuhr sie rasch fort und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie diese Spur schon im Internet entdeckt hatte. «Der Prozess war in Hamburg diese Leute leben in Hamburg, und soviel ich weiß, betreiben sie ihre Geschäfte von dort. Warum sollten sie sich die Mühe machen, ihren Anschlag ausgerechnet weit entfernt in den spanischen Pyrenäen auszuführen? Das ginge in einer Großstadt wie Hamburg leichter und unauffälliger.»
«Ganz einfach», Ruth Siemsens Augen glänzten, vielleicht vor Triumph, vielleicht nur vom Wein, «weil der verurteilte Mandant wohl deutscher Staatsbürger ist, aber aus einer nordspanischen, ich glaube aus einer baskischen Familie stammt. Er wird hier noch genug Verwandtschaft haben. Dies ist nicht Albanien, wo es noch die Pflicht zur Blutrache gibt, aber Familie gilt hier noch mehr als bei uns.»
Sie lehnte sich mit unterdrücktem Stöhnen zurück und presste beide Hände auf ihr Gesicht. Leo blickte zur Theke, die Freunde des Wirts verabschiedeten sich, er trocknete gähnend die letzten Gläser. Es war weit
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