Tod Auf Dem Jakobsweg
verkündet. «Sowieso», sagte sie, «das alte Ding. Ich hatte gehofft, Sie erkennen mich nicht. Aber vielen Dank. Ich wollte mich nur ein bisschen unterhalten, und dann hat dieser Mensch gedacht...»
Sie schwankte, Leo griff nach ihrem Arm und führte sie zur Enttäuschung der immer noch herüberglotzenden beiden Männer hinter eine Säule zu einem Tisch am letzten Fenster.
Sie bat den Wirt um ein Glas Weißwein, eine Karaffe Wasser und einen Kaffee. «Nein», korrigierte sie, «besser Tee.»
Das Bestellte kam prompt, dazu ein Schälchen mit Oliven, ein Teller mit einigen Scheiben der traditionellen Blutwurst und hauchdünn geschnittenem Schinken, ein Körbchen mit Weißbrotscheiben. Die Señora solle essen, erklärte der Wirt mit besorgtem Blick, aber nicht zu viel, das sei ihr jetzt gewiss nicht bekömmlich.
Während er sich hinter seinen Tresen zurückzog, rief er den beiden Gaffern in schnellem Spanisch etwas unfreundlich Klingendes zu, die beiden zogen die Köpfe ein, machten eine wegwerfende Handbewegung und widmeten sich wieder ihrem Gespräch und ihrem Wein.
«Ich hoffe, er hat den Kerlen die Leviten gelesen, weil sie nur neugierig gegafft haben, anstatt Ihnen zu helfen», sagte Leo.
«Das hat er.» Ruth Siemsen ließ den Teebeutel in dem dampfenden Wasserglas kreisen. «Ein oder zwei seiner Worte kenne ich nicht, wahrscheinlich stehen die in keinem Lehrbuch, aber ja, er hat sie abgekanzelt.» Leise aufstöhnend stützte sie die Stirn in die gespreizten Hände. «Es ist mir schrecklich peinlich, Frau Peheim, ich fürchte, ich bin betrunken und habe mich sehr dumm benommen.»
«Sie sind ein bisschen betrunken. Das kommt in den besten Familien vor, besonders, wenn man so viel Grund zur Sorge hat wie Sie und wahrscheinlich den ganzen Tag nichts Vernünftiges gegessen hat. Schämen muss sich nur dieser eklige Typ.»
Sie schob Benedikts Mutter Aufschnitt, Oliven und Brot zu, nahm selbst eine Scheibe Schinken und aß genüsslich. Er stellte alles in den Schatten, was sie unterwegs an Geräuchertem bekommen hatten, und stellte den guten Ruf des berühmten serrano wieder her.
«Unser Schutzengel hält Sie ganz schön auf Trab», sagte Ruth Siemsen, «erst schickt er Sie zu Benedikt, jetzt zu mir. Sie sind immer zur Stelle.»
Leo ließ die Olive, die sie gerade aus dem Schälchen gefischt hatte, zurückfallen. «Ich hoffe, Sie wollen damit nicht sagen, das könne kein Zufall sein.»
«Nein. So habe ich es nicht gemeint. Wirklich nicht. Es tut mir leid, dass ich im hospital so grob zu Ihnen war. Die Angst um Benedikt», ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie wischte sie mit unsicherer Hand fort, «die Angst ist wie ein schwarzes Loch. Ich sehe ihn dort liegen und kann nichts tun. Das ist das Schlimmste, dieses Nichts-tun-Können. Manchmal macht es mich einfach nur wütend.»
Sie zog eine Papierserviette aus dem Brotkorb, putzte sich die Nase und versuchte vergeblich ein ironisches Lächeln. Es sah sehr traurig aus.
«Ich grübele und grübele», fuhr sie fort, als Leo schwieg und sie nur aufmerksam anblickte, «die Gedanken sind wie ein Mühlrad, inzwischen habe ich das Gefühl, gar nichts mehr zu wissen.» Sie wiederholte, als habe sie es auswendig gelernt was sie schon im hospital zu Leo und Jakob gesagt hatte und sich selbst ungezählte Male: Benedikt sei nicht leichtsinnig, der Weg müsse unsicher sein, vielleicht sei eine heftige Bö schuld gewesen.
Sie sprach hastig, als habe sie lange darauf gewartet, dass ihr jemand zuhöre, und könne nicht auf die Geduld ihres Gegenübers vertrauen. Niemand falle ihr ein, der einen Groll auf ihren Sohn haben könne. Das sei einfach nicht vorstellbar. Sie griff nach Leos Wein, nahm einen Schluck und stellte das Glas wieder auf den Tisch. Sicher hatte sie auch niemals zuvor, ohne zu fragen, aus einem fremden Glas getrunken.
«Aber ich muss immer... es ist nur eine Idee, die ist verrückt, aber sie geht mir nicht aus dem Kopf. Nicht mal jetzt.» Sie holte tief Luft, bevor sie fortfuhr. «Als er mir Nina vorstellte, habe ich gedacht, das Mädchen ist nicht gut für ihn. Sie kommt aus sehr reichem Haus, und Benedikt hat nur, was er selbst verdient. Ich finde, das ist viel. Sehr viel sogar. Aber in ihren Kreisen», Ruth Siemsen hob unbehaglich die Schultern, «in ihren Kreisen ist das wenig. Nichts. Ich fand, ihr Einfluss sei nicht gut. Er begann, sich den Gewohnheiten ihrer Freunde anzupassen, jedenfalls war das mein Eindruck. Natürlich geht es mich nichts mehr
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