Tod Auf Dem Jakobsweg
an, ich habe mir trotzdem Sorgen gemacht.»
«Sind Sie Nina begegnet? Hier in Burgos?»
Ruth Siemsen schüttelte den Kopf. «Ich weiß, dass sie hier ist und Benedikt jeden Tag besucht. Ich bin ständig im Hospital, es gelingt ihr trotzdem, die Stunden abzupassen, wenn ich nicht an seinem Bett sitze. Sie wird ihre Gründe haben, mir aus dem Weg zu gehen. Ich habe mich bemüht, meine Vorbehalte bei unseren wenigen Begegnungen in Hamburg nicht zu zeigen, aber sicher hat sie sie gespürt. Und jetzt, in diesen Tagen, wäre es doch gut gewesen, mit ihr zu reden. Das habe ich mir wohl verscherzt.» Sie blickte Leo mit unruhigem Blick an. «Sie waren dort, als es passierte, nein, verzeihen Sie, kurz nachdem es passiert war. Ich muss es jetzt wissen: War Nina auch da? In der Nähe der Absturzstelle?»
«Nein. Sie war schon ein Stück weiter vorne. Benedikt wollte ständig Fotos machen, obwohl man in dem Nebel dort oben nichts als Dunst vor die Linse bekam, es war eiskalt, da ist sie vorausgegangen. Das ist keineswegs ungewöhnlich, jeder von uns geht mal ein Stück allein, und irgendwo treffen alle wieder zusammen. Frau Siemsen, ich muss es jetzt auch wissen: Nehmen Sie an, Ihr Sohn wurde in die Schlucht gestoßen? Von Nina oder sonst jemand?»
Die beiden Männer am Tisch bei der Tür schoben geräuschvoll ihre Stühle zurück, zahlten an der Theke und gingen hinaus. Zwei neue Gäste kamen herein, offenbar Freunde des Wirts, er begrüßte sie freudig und lautstark und füllte ihre Gläser, ohne eine Bestellung abzuwarten. Ruth Siemsen beobachtete die alltägliche kleine Szene mit zusammengekniffenen Augen.
«Ich mag Ihre Frage nicht», sagte sie zögernd, «weil ich sie mir selbst immer wieder gestellt habe. Benedikt würde es mir nie verzeihen, aber, ja, ich habe daran gedacht. Doch Nina zu verdächtigen ist absurd. Und wenn ich Sie nun richtig verstehe, war sie gar nicht in Benedikts Nähe, als er abstürzte. Sie hatte auch überhaupt keinen Grund zu einem solchen Hass. Man muss doch hassen, um so etwas zu tun. Benedikt hat die Reise ihr zuliebe gebucht. Eigentlich hatten sie eine andere geplant, plötzlich wollte sie unbedingt auf diesem verdammten camino wandern, der heilige Jakobus möge mir verzeihen.»
In den Wochen zuvor hatten die beiden Streit gehabt, eine echte Krise, es war von Trennung die Rede, deshalb sei sie erstaunt gewesen, als sie von dem gemeinsamen Urlaub hörte. Benedikt hatte gelacht und gesagt, so sei es eben mit der Liebe, immer auf und ab, da müsse man mal zurückstecken, und die Reise sei auch eine Versöhnungsreise.
«Ich weiß nicht, worum es bei ihrem Streit ging, ich frage Benedikt nie nach diesen Dingen, wenn er nicht von allein erzählt. Es kann nicht bedeutend gewesen sein, dann hätte er es nämlich erzählt.» Sie seufzte und lächelte dünn. «Jedenfalls bilde ich mir das ein. In den endlosen Stunden der letzten Tage habe ich versucht, ehrlich mit mir zu sein, und gemerkt, dass ich gar nicht so viel vom Leben meines Sohnes weiß. Nein, Nina sicher nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie zu einem plötzlichen Zornausbruch in der Lage ist. Sie ist so schrecklich beherrscht. Sie strahlt etwas — Einsames aus, finden Sie nicht?»
«Ein bisschen», sagte Leo und dachte, es müsse etwas dran sein an der These, nach der Männer sich mit Vorliebe in Frauen verlieben, die ihrer Mutter ähneln. «Woran haben Sie sonst gedacht? An wen?»
«Ich glaube, ich werde wieder nüchtern, Frau Peheim. Ich registriere nämlich, dass ich hier mit Ihnen sitze, einer mir völlig fremden Person, und von absolut privaten Angelegenheiten rede, die dazu ins Reich der Verschwörungstheorien gehören. Das ist sonst nicht meine Art. Aber ich bin noch nicht nüchtern genug, meinen Mund zu halten. Denken Sie, der Wirt schenkt mir trotz des Auftritts von vorhin noch ein Glas ein?»
Leo lachte, stand auf und kam nach einer Minute mit einem Glas und einem tönernen Krug zurück. Sie füllte das Glas, schenkte auch sich nach und sah ihr Gegenüber aufmunternd an.
«Ich glaube, nicht nur Nina ist schrecklich beherrscht. Haben Sie keine Sorge. Wir reisen morgen früh weiter, dann werden wir uns nicht mehr sehen. Im Übrigen bin ich berüchtigt für meine Neugier, von Indiskretion war noch nie die Rede. Ich weiß, dass Sie mit Inspektor Obanos gesprochen haben, Frau Siemsen, wir auch. Er hat uns alle befragt. Wenn es einen ernsthaften Verdacht gibt, wird er dem ohnedies nachgehen. Aber
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