Tod Auf Dem Jakobsweg
einst römischen Astorga vorbei, das der Legende nach gleichwohl von Santo Domingo selbst gegründet worden war. Als Bischofssitz und bedeutende Station am camino hatte es früher einundzwanzig Pilgerhospize beherbergt, nur Santiago hatte mehr aufgeboten. Kathedrale, Rathaus, Stadtpalais und bis in die Römerzeit zurückreichende Mauern und Monumente mochten die Stadt mit anderen am Jakobsweg um Schönheit und Bedeutung konkurrieren lassen — der Palacio Episcopal war einzigartig, der Bischofspalast des für seine eigensinnige, alles Herkömmliche sprengende Phantasie bekannten katalanischen Architekten Antonio Gaudí. Erst hundert Jahre alt, stand das mit Zinnen und Türmchen bewehrte Gemäuer aus Granit nur einen Steinwurf von der Kathedrale entfernt, ragte hoch über die römische Stadtmauer und sah aus wie ein Mittelalterimitat aus Disneyland. Ein Vierteljahrhundert hatte der Bau gedauert — den Kirchenherren hatte das Ergebnis nicht gefallen. Der Bischof hatte eine würdigere Bleibe gefunden, das Kuriosum war zum Museo de los Caminos geworden, dem Museum der Pilgerwege.
Wieder zeigte die Erde eine deutliche Rotfärbung, es gab Eichenwälder, und noch führte die Straße sanft aufwärts durch das Bergvorland. Endlich waren die Montes León erreicht, voraus wartete mit 1504 Metern der höchste Punkt des Jakobsweges.
Die Luft war kristallklar und der Himmel von strahlendem Blau, als der Bus bald hinter Rabanal del Camino an der Abzweigung des Pilgerwegs stoppte. Die Luft war auch dünn, das Dorf lag über tausend Meter hoch. Mit dem trutzigen Kirchlein, den alten Steinhäusern und süß duftenden Rosen in sonst kargen Gärten glich es einem Bild aus längst vergangener Zeit. Die das Dorf durchziehende Straße war ein steinig-holperiger Weg, der das Herz jedes camino -Romantikers höherschlagen ließ. Sie führte aus dem Dorf hinaus zum langen Anstieg bis zum Cruz de Ferro, dem von einem großen Steinhaufen hoch aufragenden Eisenkreuz und der Eremita de Santiago.
Der Nachmittag war weit fortgeschritten, als die Wandergruppe aus dem Bus kletterte, die Stiefel nachschnürte, ein letztes Mal die Wasserflaschen prüfte oder aus Ignacios unversiegbarem Vorrat auffüllte.
«Vergesst die Sonnenmilch nicht», erinnerte Jakob, «in der dünnen sauberen Luft hier oben droht auch Sonnenbrand, wenn man schon gebräunt ist. Und für die Schnellen: Wartet am Ortsausgang von Foncebadón, dort treffen wir uns. Allein werdet ihr unsere Unterkunft für diese Nacht kaum finden. So. Und nun schaut euch mal um, wer dort auf uns wartet. Jetzt sind wir wieder fast komplett.»
Nina saß wenige Schritte entfernt auf einem Stein im Schatten eines Holunderbusches, niemand hatte sie bemerkt.
«Da bist du ja!», rief Edith, eilte auf Nina zu und schloss sie in ihre Arme. «Geht es Benedikt besser? Ist er endlich aufgewacht?»
«Noch nicht.» Nina lächelte unsicher. Eine so überschwängliche Begrüßung hatte sie nicht erwartet. «Aber es geht ihm besser. Seine Mutter möchte, dass ich mich euch wieder anschließe und in Santiago für seine Gesundheit bitte.»
«Eine weise Frau», betonte Enno, und Jakob nickte zufrieden. «Ich hoffe, die Überraschung ist geglückt», sagte er heiter. «Nun lasst uns losgehen. Es ist nur eine gute Stunde, aber der Tag ist nicht mehr jung, und es geht meistens bergauf.»
Ob die Überraschung eine Freude bedeutete, war schwer zu entscheiden. Nina wurde begrüßt, doch mit einer seltsamen Befangenheit. Als sei sie eine Fremde, und tatsächlich war sie das. In den wenigen gemeinsamen Tagen war aus einem Dutzend Wanderern, die sich nie zuvor gesehen hatten, eine Gemeinschaft geworden. Nina war daran nicht beteiligt gewesen.
Als sich alle auf den Weg machten, schlossen sich Felix und Fritz ihr an und fragten sie nach Benedikts Befinden aus — was der Arzt gesagt habe, wann mit seinem Aufwachen zu rechnen sei.
Hedda, Sven und Rita hatten Nina nur kurz zugenickt, sie bildeten heute die Spitze der kleinen Karawane und verschwanden bald hinter den entlang des schmalen Pfades aufragenden Felsbrocken, weißblühendem Ginster und rosafarbener Baumheide. Der Rest stapfte schweigend voran, Selma, Leo und Jakob als Schlusslichter.
Leo versuchte alle Gedanken zu verscheuchen. Sie wollte sich einzig auf den Weg und die freiheitverheißenden wunderbaren Ausblicke über einsame Täler und Höhen bis zu den mit Schnee bedeckten Bergspitzen am Horizont einlassen. Auf den herb-süßen Duft der blühenden Sträucher,
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