Tod Auf Dem Jakobsweg
steht mir ständig der Sinn nach Weite und Stille.»
Leo nickte, Sven murmelte Zustimmendes, der Rest starrte träge hinaus in den städtischen Trubel, die lange Wanderung forderte ihren Tribut. Erst als der Bus vor dem Hotel hielt, wurden alle wieder munter.
Fritz zerrte als Erster seinen Koffer aus dem Gepäckfach unter dem Fahrgastraum, blickte an dem zwölfstöckigen Neubau hinauf und nickte zufrieden. «Das ist mal was Reelles.»
Auf einem rotgepflasterten, von Buschwerk umgebenen Platz auf der anderen Straßenseite drehte sich ein altmodisches Karussell zu blechern klingender Musik. Im Schatten des modernen Hotels hatte es sich in die falsche Zeit und an den falschen Ort verirrt.
«Die Hauptsache, wir haben eine Badewanne», sagte Rita knapp. «Ich brauche jetzt nichts als ein ausgedehntes Bad. Ich fühle mich wie ein Schnitzel, völlig verschwitzt und mit Sand paniert.»
Mit der Müller’schen Harmonie stand es wieder nicht zum Besten. Er hänge ewig am Handy, hatte Rita beim Frühstück gemurrt, als Fritz’ Stuhl als letzter leer geblieben war. Selma hatte eingewandt, ein erfolgreicher Mann müsse sich nun mal auch im Urlaub um seine Geschäfte kümmern, auf Untergebene sei ohne Aufsicht kein Verlass. Leo hingegen hatte an Marisa gedacht, die offizielle Ehefrau, und lieber nicht darüber nachgedacht, was er ihr am Handy erzählte.
An diesem Tag hatte die Temperatur die Dreißiggradmarke angekratzt, selbst jetzt war es noch heiß, obwohl die Stadt in achthundert Meter Höhe auf der altkastilischen Hochebene lag. Die klimatisierte Halle, eine mit hohen Grünpflanzen und Ledersesseln in Sitzecken garnierte Mischung aus Glas, Stahl und poliertem Stein, empfing sie wie ein Eiskeller. Alle beeilten sich, ihre Schlüssel zu ergattern.
«Freizeit bis um acht», rief Jakob, «dann gibt es Abendessen. Wir haben einen Extraraum, folgt dem Schild mit unserem Unternehmenslogo. Wenn’s geht, seid bitte pünktlich!»
Leo bekam ihren Schlüssel als Letzte. Ihr Zimmer lag im zehnten Stock, die Aussicht über die Stadt und hinüber zu den Montes de León, die sie am nächsten Tag erwarteten, würde phantastisch sein. Doch zunächst entdeckte sie etwas anderes. Wie in dem bescheideneren Hotel in Burgos gab es auch hier ein Terminal für die Gäste. Ein Schild neben der Rezeption wies in Spanisch, Französisch und Englisch darauf hin — und Leo hatte eine Idee.
Sonntag / 8. Tag
Ein halber Tag für León entsprach einer Woche für ganz Spanien. Das Mittagsläuten war noch nicht lange verklungen, da rollte der Bus schon wieder weiter.
«Ich hab vom vielen Zur-Decke-Sehen immer noch ein steifes Genick.» Hedda streckte ihre geplagten Halswirbel und massierte sich mit beiden Händen den Nacken. «Sind die Wandmalereien nicht phantastisch? Dürer war als junger Mann in Italien, da hat er bei einem Renaissancemeister gelernt», fuhr sie, bevor Leo antworten konnte, mit ungewohntem Eifer fort, «wenn er San Isidoro gesehen hätte...»
«Dann hätte er die alten Wände garantiert altmodisch gefunden», unterbrach Felix sie. «Ist euch eigentlich klar, dass wir und die vier Dutzend anderen drängelnden Touristen heute auf dreiundzwanzig Gräbern rumgetrampelt sind? Die ganze Kunst für einen Friedhof. Okay, einige der königlichen Herrschaften warten in Sarkophagen aufs Jüngste Gericht. Mir hat die Kathedrale besser gefallen, viel Licht und Luft, nicht so prunkvoll überladen wie die in Burgos, und diese Glasfenster — unglaublich. So etwas habe ich bisher nur in Chartres gesehen, da war ich mal als Schüler. Ist lange her, aber ich habe es nie vergessen, obwohl ich bestimmt kein Kunstfreak bin. Wenn man sich vorstellt, dass einige schon mehr als siebenhundert Jahre überstanden haben — aber so hoch, wie die angebracht sind, trifft sie wenigstens kein Stein von frechen kleinen Ministranten und Chorsängern.»
«Insgesamt tausendachthundert Quadratmeter», mischte sich Sven ein und hielt einen dicken, reichbebilderten Führer hoch, den er an diesem Morgen erstanden hatte. Er hatte sich für ein Stündchen von Helene getrennt, die auf der Rückbank versäumten Schlaf nachholte, und sich auf den freien Platz hinter Leo gesetzt. «Das sind dreißig mal sechzig Meter Glaskunst.» Seine Stimme klang stolz, als habe er selbst zu den Künstlern gehört, die die berühmten Fenster im Laufe mehrerer Jahrhunderte geschaffen hatten. Vom Kölner Dom war in diesen Tagen keine Rede mehr.
Sven und Felix beugten sich
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