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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gegen ein schattenspendendes, zum Portal führendes Mäuerchen. Auch hier war das Portal mit reichem romanischem Bauschmuck umrahmt, darüber zwei Arkadenreihen, in deren Nischen Apostel und kastilische Könige gleichsam als Gefolge Marias mit dem Kind und, in der Mitte der oberen Reihe, Christus. Er war nicht als der Sterbende am Kreuz dargestellt, charakteristisch für spätere Jahrhunderte, sondern als Pantokrator, als der thronende Allherrscher der Welt.
    «Hast du einen Ausflug nach Madrid gemacht?», spöttelte Felix mit seinem üblichen Grinsen. «Wir warten schon eine Ewigkeit, die anderen sind sicher schon in Carrión und schlagen sich den Bauch voll. Bis dahin ist es noch eine gute Stunde.»
    «Es sieht eher nach einer Bußpilgerei durch einen Dornwald aus.» Rita kramte eine Tube aus ihrem Rucksack und reichte sie Leo. «Es ist nicht Selmas Wundersalbe, sie wird trotzdem hilfreich sein. Hoffentlich gibt’s hier keine Zecken. Hast du dich verirrt?»
    «Überhaupt nicht.» Leo strich Salbe auf die übelsten Kratzer am rechten Handgelenk und an den Schienbeinen. «An einer Wegkreuzung gab es zwei Muschelzeichen in verschiedene Richtungen, ich bin dem malerischen Trampelpfad am Fluss entlang gefolgt. Die Route war ein bisschen länger als eure, dafür garantiert aufregender. Nett, dass ihr gewartet und eine Kundschafterin ausgesandt habt, aber ich wäre auch alleine heil angekommen. Jetzt ist Hedda die letzte Strecke zweimal gelaufen.»
    «Halb so schlimm.» Hedda zuckte die Achseln, und Felix erklärte: «Das wollte sie unbedingt, sie hat zu viel überschüssige Energie. Ich war mehr fürs Warten im Schatten.»
    «Hedda war schon weg, als ich mit Fritz und Rita hier ankam», entschuldigte sich Jakob, «sonst wäre ich dir entgegengegangen. Ich fand es deshalb auch besser zu warten.»
    «Wir haben inzwischen die Kirche besichtigt», sagte Felix. «Ihr könnt mir glauben: Wenn wir wieder zu Hause sind, habe ich für die nächsten zehn Jahre Vorrat an heiligen Hallen. Fritz hat allerdings die Stellung gehalten, damit ihr nicht etwa vorbeilauft. Kommt mit, dadrin gibt es in einer unserem guten alten Santiago geweihten Kapelle die berühmte Virgen la Blanca, die müsst ihr euch ansehen.»
    Das auch hier himmelhohe, schon von der Gotik beeinflusste Kirchenschiff überraschte Leo trotz der klobigen Wirkung des Äußeren nun schon nicht mehr. Die Weiße Jungfrau Maria, dozierte Felix, während sie durch das Schiff zur Seitenkapelle gingen, habe viele Wunder vollbracht. Besonders fabelhaft sei, dass ihre Magie kranke Pilger geheilt habe, die unverrichteter Dinge aus Santiago zurückkamen.
    «Eins zu null Maria gegen Jakobus. Da ist sie, seht ihr? Ihrem Sohn konnte sie eindeutig nicht helfen.»
    Die frühgotische steinerne Madonna mit Krone und Schleier saß unter einem angedeuteten Baldachin an einer der Säulen, die Wirren der Jahrhunderte hatten sie den rechten Arm gekostet. Dem Jesuskind auf ihrem Schoß fehlten beide Hände — vor allem aber der ganze Kopf.
    «Du bist ein schnöder Ketzer», sagte Leo, selbst erstaunt über ihren Ärger. «Im Mittelalter wärst du als Komplize Satans auf dem Scheiterhaufen geendet. Dein Glück, dass du dich damit nicht vor Enno amüsiert hast, der liebt die Madonna und hätte dir den Kopf abgerissen.»
    «Schon möglich», sagte Felix, doch ohne das zu erwartende Grinsen. Er sah verblüfft Hedda nach, die mit langen Schritten zum Portal eilte. Nicht eilte — sie rannte.
     

Kapitel 9
     
     
     
    Als sie am Nachmittag León erreichten und im Verkehrschaos der Randbezirke stecken blieben, wurde es still im Bus. Zwei Tage zu Fuß durch die weite, dünnbesiedelte Region hatten gereicht, großstädtischen Lärm und Enge als bedrängend zu empfinden. Die Provinzmetropole mit ihren 150000 Einwohnern birgt inmitten der Industrievororte eine Altstadt, die zu den touristischen Attraktionen Nordspaniens zählt. Sie ist zum Teil noch von neunhundert Jahre alten turmbewehrten Mauern umgeben, die auf sehr viel älteren, von den römischen Legionen aufgeschichteten Steinquadern stehen.
    Das hatte Edith aus ihrem Reiseführer vorgelesen. «Es ist komisch», sagte sie, «nachdem ich so viel über die Kathedrale gelesen hatte und noch mehr über San Isidoro mit den einmaligen Wandmalereien in der Grablege der Königsfamilien, habe ich mich wirklich auf León gefreut. Natürlich ist es schön, dass wir hier sind, die Stadt ist ein echtes Highlight, aber irgendwie — ich weiß nicht, inzwischen

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