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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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über den Kunstführer und diskutierten die Abbildungen und Erläuterungen der Glasfenster, vor allem die der Details, die für den Kirchenbesucher wegen der Höhe der Fenster nicht erkennbar waren. Allerdings wechselten sie bald das Thema und tauschten ihre Eindrücke vom Palacio de los Guzmanes aus, einem herrschaftlichen Stadthaus in der Nähe der Kathedrale, und Sven schwärmte von dem Hutgeschäft gegenüber, in dem die Zeit im 19. Jahrhundert stehengeblieben war. Er hatte sich verführen lassen, einen original spanischen Sombrero zu erstehen, was Helene eine schwachsinnige Ausgabe genannt hatte. Sie möge Männerhüte, aber wenn er dieses Ding aufsetze, werde sie nicht mit ihm auf die Straße gehen.
    Leo dachte noch über das nach. Es stimmte und klang nach mangelnder Pietät, doch Felix schien sich wenig mit alten Kirchen auszukennen. Alle hatten unter den Bodenplatten die Toten ihrer Gemeinde aufgenommen, ständig liefen Menschen darüber, ob Touristen oder Gläubige auf dem Weg zu Gebet und Gottesdienst. Der Tod war in Kirchen stets gegenwärtig, nicht nur durch Kruzifixe, Märtyrerstatuen, Gemälde oder Symbole, durch die zahllosen gewaltvollen Tode und Gemetzel im Namen des Glaubens und der Kirche. Der Tod war elementarer Bestandteil des Lebens und der Religion, der Tod und das Vertrauen in die Erlösung durch einen anderen, den Tod am Kreuz. Viel häufiger nur die Hoffnung, stets verdunkelt von Furcht, weil Hoffnung kein Wissen bedeutet. Das menschliche Streben nach Wissen, so überlegte sie, entspringt nicht nur der Neugier, es wurde von dem urmenschlichen Wunsch nach Sicherheit getrieben, nach Ruhe und Geborgenheit. Nichtwissen bedeutet Unruhe, Fremdheit, fortwährende Suche.
    Und der oft zitierte Reiz des Fremden? Die Lust auf das Neue, Unbekannte? Die konnte nur der empfinden und wahrhaft genießen, der irgendwo in der Welt ein sicheres Zuhause hatte, Menschen, die auf seine Rückkehr warteten.
    Ruth Siemsens Gesicht tauchte vor ihr auf. Nina, so hatte sie gesagt, sehe so einsam aus. Am einsamsten sind Menschen immer in ihrer Angst, noch einsamer, wenn sie sie mit niemandem teilen können und ohne Trost bleiben. Zumindest in diesen Tagen in Burgos musste Nina sich quälend einsam fühlen. Wenn sie trotzdem der Begegnung mit Benedikts Mutter auswich, die mit derselben Not lebte, musste es dafür einen schwerwiegenden Grund geben.
    In Puente de Órbigo war es Zeit für ein spätes Picknick im Schatten eines Pappelhains am Ufer des Río Órbigo. Enno behauptete, mit seinen Kieselufern gleiche er der Isar. Der Ort am jenseitigen Ufer hingegen, das gestand er zu, habe mit den alten Ziegeldächern, weißen Fensterläden und den vielen bewohnten Storchennestern absolut nichts Bayerisches. Die auf zwanzig Bögen über den Fluss und seine Senke bis zum Nachbarort reichende mittelalterliche Steinbrücke war die Attraktion des schläfrigen Städtchens. Wegen ihrer Schönheit und wegen des Ritterturniers, das ein kastilischer Adeliger namens Suero de Quiñones anno 1434 auf ihr veranstaltet hatte, um sich von einem Gelübde zu befreien.
    Zum Beweis für seine Verehrung einer edlen Dame hatte der sich verpflichtet, jeden Donnerstag ein Halseisen zu tragen, was er bald äußerst lästig fand. Vielleicht war auch nur die Leidenschaft erkaltet, was ließ sich nach einem halben Jahrtausend schon noch sicher beurteilen? Ein Gelübde ist eine ernste Sache, da konnte nur ein Heiliger helfen. So legte er das befreiende Turnier in die Zeit um den 25. Juli, den Namenstag des Apostels Jakobus. Ganze vier Wochen, vom 10. Juli bis zum 9. August, kämpfte Quiñones, unterstützt von neun Ritterfreunden, in größter Sommerhitze um seine Befreiung gegen jeden die Brücke passierenden Ritter. Sie sollen in Scharen aus halb Europa gekommen sein. Eine solche Gelegenheit zum tatkräftigen Beweis edler Manneskraft bot sich vielleicht nie wieder, denn diese blutigen Vergnügen waren längst von der Kirche verboten. Jakobus hat trotzdem ein Auge zugedrückt und geholfen, der kampflustige Ritter wurde von seinem Gelübde befreit. Zum Dank pilgerte er nach Santiago de Compostela und spendete die Halsfessel der Kathedrale, wo sie heute noch am Hals einer Jakobusstatue in der Reliquienkapelle zu bewundern ist. Andere berichten, es handele sich um einen goldenen Reif seiner Dame, was erheblich romantischer klang.
    Weiter ging es durch flaches, von Bewässerungsgräben durchzogenes Ackerland und am

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