Tod auf der Donau
Wortschatz ausgeschöpft hatte.
Das Hauptprogramm des Tages begann um neun Uhr. Martin rief 15 Minuten vor Aufbruch die Gäste übers Audiosystem des Schiffes zusammen, das alle Kajüten, den Salon und das obere Deck beschallte. Die Leute begannen sich langsam an der Rezeption zu sammeln. Als die Meisten da waren, stellte er sich mit dem Mikrophon nach vorne und legte los:
»Sehr geehrte Reisende, ich wünschen Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen! Haben Sie gut geschlafen?«
»Ja, Martin!«, schrien einige Amerikaner.
»Hat Ihnen das Frühstück geschmeckt?«
»Sehr.«
»Sind Sie bereit, den Urlaub nun in vollen Zügen zu genießen?«
»Sicher doch!«
Er bemühte sich darum, alles möglichst schnell zu erklären:
»Das freut mich sehr. Jetzt schauen Sie bitte einmal nach rechts.Die Donau sieht überall etwas anders aus, doch wenn Sie erst mal einen Teil von ihr halbwegs verinnerlicht haben, werden Sie sie immer erkennen. In Regensburg ist sie schön und präzise. Nicht mehr ganz so schmal wie im Schwabenland, doch noch längst nicht so imposant wie in Belgrad. In dieser Stadt, einer Handelsmetropole, hatte jahrhundertelang der Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seinen Sitz. Die Steinbrücke war lange Zeit die einzige zwischen Ulm und Wien und verband den Norden Europas mit Venedig.«
Sein Blick schweifte über den Fluss, auf dem einige Schiffe dahinglitten.
»Während der Besichtigung werden Sie natürlich auch den gotischen Dom und das Rathaus sehen. Auch über die Steinbrücke machen wir einen Spaziergang.«
»Mit dem Bus?«
»Nein, zu Fuß. Auf der Brücke dürfen gar keine Busse fahren, schon gar nicht würden diese in die schmalen Gassen der Altstadt passen. Wir werden zu Fuß gehen.«
»Schade!«, riefen einige Gäste.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung; bis auf Clark Collis, der die Reise ausnahmslos in seiner Kajüte verbringen wollte. Martin bedankte sich bei ihm für dessen Entgegenkommen, da er schon einige extrem beleibte Passagiere erlebt hatte, die sehr wohl erwartet hatten, dass man sie mit dem Rollstuhl durch all die Donaustädte fuhr.
Er erblickte Foxy und grüßte sie höflich. Sie wagte ein Lächeln, und sie wechselten ein paar Worte. Keiner von ihnen hatte vergessen, was in der Nacht zuvor passiert war. Er dachte über die Folgen nach und hoffte inständig, dass es keine geben würde. Sollte sich Foxy tatsächlich beschweren, wäre es für ihn durchaus ungünstig. Manche Passagiere erpressten die Schiffsbesatzung auch nach einer Reise noch monatelang, und die Firma opferte lieber einen »Bauern«, um sich das Problem vom Hals zu schaffen.
Nachdem der letzte Bus abgefahren war, hatte Martin weniger Arbeit,die Besatzung jedoch umso mehr. Schwitzend trugen die Matrosen Schachteln, Pakete und Plastikkisten. Die Mechaniker inspizierten das Deck und putzten die großen Bullaugen. Lautlos wurden die Spiegel, Säulen und Geländer gereinigt. Die Lebensmittel wanderten ins Lager, ein Raum mit schmalen vergitterten Fenstern, übervoll an Düften: Ein ganzes Schwein hing da, riesige Schinken, Mehlsäcke, Butterwürfel, Gemüsekisten. All das verwandelte sich mit Hilfe der Alchemie der Köche in Hunderte wohlschmeckende Portionen.
An Bord lebte Martin in einer Männergesellschaft. Von morgens bis abends atmete er eine Luft, die mit Männergerüchen gesättigt war. Er gewöhnte sich an ihre Gesten, den schnellen Gang, die verrauchten Stimmen und versoffenen Augen. Die meisten mochte er auch auf gewisse Art und Weise, allerdings war dies mehr eine Zweckgemeinschaft, ihm blieb gar nichts anderes übrig, wollte er nicht verrückt werden.
Atanasiu nahm keine allzu großen Mühen auf sich, er beaufsichtigte in der Regel. Er beschimpfte keinen Matrosen, doch wusste er sehr wohl, wie man sie richtig zum Schuften brachte. Ein Blick genügte, und die Männer wurden nervös, sie nahmen Hammer, Seil, Fetzen oder Staubsauger in die Hand, je nach Zuweisung, und machten sich an die Arbeit.
»Hast du Kopfweh?«, fragte Martin.
»Nein, nur die Ohren rauschen ein wenig. Was hältst du von ihnen?«, fragte Atanasiu.
Martin wusste genau, was er meinte.
»Eine gute Gruppe. Reiche und anständige Leute, ein bisschen vorlaut … Sollte es unter ihnen problematische Individuen geben, so habe ich sie noch nicht lokalisiert. Na ja, eine Person machte mir zu schaffen, doch die habe ich befriedet. Gut ist auch, dass wir kaum verlorene Gepäckstücke haben. Der Anfang ist
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