Tod auf der Donau
Bord höhnisch an, als Einziger. Voller Verachtung musterte er die uniformierten Gestalten.Seine hohe Stirn verriet die Fähigkeit, blitzschnell kombinieren und taktieren zu können. Die Augen verfolgten unauffällig, jedoch aufmerksam, jede Bewegung am Ufer.
Imrich Lichtenfeld wurde 1910 in Budapest geboren, verbrachte allerdings sein ganzes Leben in Bratislava. Sein Vater hieß Samuel Lichtenfeld, ein berühmter Bratislaver Detektiv mit einer rekordverdächtigen Zahl gelöster Kriminalfälle und zugleich legendärer Gründer des Ringerklubs »Hercules«.
An seinen Sohn Imrich vererbte er seine Intelligenz und das Talent zu kämpfen, welches der mit der Hilfe des Vaters bis zur Perfektion brachte. Er wurde mehrfach slowakischer Champion im Boxen, der Gymnastik und griechisch-römischem Ringkampf. Er war sogar bei mehreren internationalen Turnieren äußerst erfolgreich, doch das Aufkommen der Nationalsozialisten stoppte seine vielversprechende Karriere. Dennoch wurde er innerhalb kürzester Zeit zum erfolgreichsten slowakischen Ringkämpfer der Zwischenkriegszeit.
In den Geschichtsbüchern wird selten von einem Widerstand der Juden gegen den deutschen Faschismus gesprochen, höchstens erwähnt man einen äußerst schwachen bewaffneten Widerstand. Als eine der wichtigsten Ausnahmen gilt der Aufstand im Warschauer Ghetto im Mai 1943. Doch Imrich Lichtenfeld verteidigte mit einer kleinen militärischen Truppe das jüdische Viertel vor den Pogromen in Bratislava schon seit dem Jahr 1936 und weitete diese Aktivitäten noch aus, als der slowakische Staat gegründet wurde. Lichtenfelds Truppen stürzten sich in allerlei Straßenkämpfe, sie gingen gegen die Gardisten und Nationalsozialisten vor, und obwohl sie meistens einer weitaus besser ausgerüsteten Überzahl gegenüberstanden, konnten sie diese besiegen. Sie kämpften bis zum Jahr 1940, als sich die Situation hoffnungslos zuspitzte und der Anführer der Widerstandsbewegung seine letzte Rettung in einer Flucht sah. Doch alle Wege waren längst abgeschnitten, die Donau schien die letzte und einzige Chance zu sein.
Lichtenfeld organisierte die Schifffahrt, und es gelang ihm nachschleppenden Verhandlungen, den Kauf des Schiffs durchzusetzen. Er schätzte, dass sie in drei Wochen im rumänischen Sulina ankommen müssten. Mit seinen dreißig treuesten Mitarbeitern sicherte er Lebensmittelvorräte, Trinkwasser und sogar eine bulgarische Flagge, unter der das Schiff wohl ohne irgendwelche Bewilligungen passieren konnte. Die Bestechungsgelder an slowakische und deutsche Beamte erreichten astronomische Höhen und ruinierten viele der flüchtenden Familien. Am Ziel würde auf die Flüchtlinge ein Überseeschiff warten, um sie nach Syrien oder nach Palästina zu bringen.
Die Reise nach Mohács verlief ziemlich glatt und dauerte lediglich eine Woche. In Budapest nahm die
Pentcho
viele weitere ungarische und deutsche Juden auf. Bei der Weiterreise in Richtung Balkan wuchs jedoch der Zeitverzug gefährlich an. In jedem größeren Hafen zwang man das Dampfschiff anzuhalten. Alle Papiere und Dokumente wurden kontrolliert, die Entrichtung eines Zolls verlangt und die Weiterfahrt immer wieder verzögert. Das Gedränge im Unterdeck wurde unerträglich, die Nervosität und der Hunger wuchsen. In Kroatien wurde das Schiff zwei Wochen lang festgehalten, weil die Beamten gar keine Weiterfahrt erlauben wollten. Lichtenfeld gab sein gesamtes Vermögen als Bestechungsgeld hin, die Wertsachen nutzte man dazu, Lebensmittel von der Bevölkerung einzutauschen.
Der Höhepunkt der Krise erfolgte schließlich beim Eisernen Tor. Die rumänischen Wachen, angestachelt von der faschistischen Regierung, ließen sie nicht passieren. Die
Pentcho
blieb am verlassenen Ufer an der südslawischen Seite liegen, die Verhandlungen zogen sich in die Länge und zeigten dennoch keinen Erfolg. Glühend heiße Tage, Wochen und Monate eines Balkansommers vergingen. Imrich wurde überall mit feindlichen Blicken und Ablehnung begegnet. Die Besatzung hatte irgendwann keine Lebensmittel mehr, auch das Trinkwasser ging zur Neige, und jede Anstrengung, mit dubiosen Dorfbewohnern Geschäfte zu treiben, misslang ebenfalls. Beim Versuch, irgendwie doch noch weiterzukommen, fiel ein kleiner Junge aus Budapest an einer gefährlichen Stelle in die Donau. Imrich Lichtenfeldsprang ihm sofort nach und rettete den Buben, doch schon bald entzündete sich sein linkes Ohr, was ihm beinahe das Leben kosten sollte. Ein Arzt schnitt
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