Tod auf der Donau
Kriegsschiffe auf, die im September 1944 versenkt worden waren. Die Nazis hatten hier fast 80 eigene Schiffe zerstört, die an der Operation »Donaudämon« beteiligt gewesen waren. Die Deutschen strebten einen schnellen Rückzug entlang des Stroms an, wurden jedoch von unzähligen Minen behindert. Die Front kam immer näher. In dieser ausweglosen Situation und aus Angst vor sowjetischer Gefangenschaft gab der Kommandant den Befehl, die gesamte Schwarzseeflotte, insgesamt fast 200 Schiffe, zu versenken, damit diese nicht in Feindeshände gerieten.
Die Sommertage an der Donau versprachen eine enorme Hitze, es war nunmehr gewiss die heißeste Etappe der Reise. Die
America
schwamm an der Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien entlang, gleich neben der Walachischen Tiefebene. Das rechte, bulgarische Ufer zog sich steiler dahin und war dichter besiedelt; das linke, niedrig und mit einer seichteren Uferzone, war oft überflutet, weswegen die Menschen ihre Häuser ein ganzes Stück weiter weg hatten bauen müssen. Bei Flusskilometer 790 lag die erste bulgarische Stadt, Vidin, und die
America
hielt erneut an.
Vor dem Schiff warteten museumsreife Busse aus sowjetischer Herstellung, sie stanken nach Diesel, türkischem Tabak und Desinfektionsmitteln. Auf den jeweiligen Vordersitz hatte der Fahrer einen Aufkleber platziert: »Wenn du es klimatisiert haben willst, mach das Fenster auf.« Martins Mikrophon verzerrte seine Stimme dermaßen, dass diese wie ein heiseres Krächzen klang.
Vidin kämpfte verzweifelt – wie ganz Bulgarien – gegen einenmassiven Bevölkerungsschwund an. Das Land war in den letzten Jahren von mehr als vier Millionen Menschen verlassen worden, und dieser Trend setzte sich weiter fort. Das stille und eintönige Städtchen bot eine herrliche Aussicht auf den Fluss, der von hübschen Stränden gesäumt war.
Der bedeutsame Hafen, aus dem Waren in den gesamten Mittelmeerraum gelangten, wurde schon im Mittelalter mit einer Festung versehen. Im 16. Jahrhundert war Vidin zur größten Stadt weit und breit angewachsen, das Territorium rundum wurde sowohl von den Türken als auch von den Serben beansprucht. Der Bus fuhr durch das türkische Tor »Stambul Kapija« im Norden und holperte dann über den Hauptplatz »Bdinci«, der sozialistischen Realismus mit mittelalterlicher Monumentalität verband. In die ehemalige Zentrale der Kommunistischen Partei hätten leicht alle 40.000 Einwohner auf einmal gepasst. Die Besichtigung wurde in der mittelalterlichen Festung »Baba Vida« fortgesetzt, in der sich die Türken im 17. Jahrhundert ein Waffenlager eingerichtet hatten. Jede Seite maß circa 70 Meter, doch einige Außenmauern zogen sich auch einen halben Kilometer weit bis ins Zentrum. Eine vielfältige Geschichte hatte diese Burg geprägt, was an und für sich wunderbar war, doch das Museum erweckte eher einen verzweifelten Eindruck. Die einzige Hinweistafel sah so aus:
Durch den Komplex wurde frische Luft geblasen, die Staubfäden aufwirbelte. Die Objektbeschreibungen gab es nur auf Bulgarisch. Die Folterkammer und die Militärausrüstung hatten längst ihren Gruselfaktor eingebüßt. Die vormals großzügige Ausstattung war nur noch fragmentarisch erhalten, von den Wänden bröckelte die Farbe ab, und viele Ziegelsteine waren mit der Zeit wie verfaulte Zähne ausgefallen. Martin sah Raben über der Burg auffliegen, in schwarzen Kreisen bevölkerten sie den Himmel und begleiteten die Passagiere während ihrer Ausflüge.
Am späten Nachmittag legte die
America
wieder ab, passierte vormals blühende, jetzt unter der Krise leidende Dörfer, weitläufige Moorgebiete und überaus fruchtbare Felder, wo allerdings nichts mehr angebaut wurde.
Schon aus der Ferne konnte man vier riesige Kühltürme erkennen. Das Schiff näherte sich Europas gefährlichstem Kernkraftwerk »Kozloduj«. Einer der sechs Reaktorblöcke war von der Strahlung beschädigt. Das Kühlwasser wurde regelmäßig in den Fluss abgeleitet. Trotzdem fanden in Bulgarien immer wieder Demonstrationen statt, die sich für den Betrieb von zwei stillgelegten Blöcken einsetzten.
»Martin, wie geht es Herrn Collis?«, fragte Catherine.
»Exzellent«, antwortete dieser. »Er genießt seine Reise und ist gut versorgt.«
»Ich habe mir gedacht, dass wir ihn besuchen könnten, Peggy und ich. Es ist sicher traurig, den ganzen Tag so allein zu sein. Einige andere haben auch schon nach ihm gefragt.«
Martin bekam eine Gänsehaut.
»Leider hat er heute schon
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