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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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wollte sie unter Beobachtung halten und wohlbehalten zum Schiff zurückführen. Zwischen den Schornsteinen hingen ganze Knäuel von Drähten. Besser erhaltene, klassischere Gebäude wurden von den Eigentümern mit selbstgebastelten Reklameschildern und bizarren Logos übersät. Die Kirchen mit ihren Zwiebeltürmchen waren von der Stadtverwaltung hingegen vorbildlich restauriert worden.
    Beim desolaten Hotel Pescarus drehte er sich wieder einmal um. Er blickte in die Auslagen und erkannte, dass er sich wohl am dreckigsten Fleckchen in ganz Braile befand.
    Er sah sich noch einmal um. Wieder hatte er dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Er sah in die alten und faltigen Gesichter, die wie Ablagerungen auf Felswänden wirkten, und beobachtete ihren langsamen Gang. Bevor die Sonne unterging, wurde das Licht strahlend und intensiv. Offensichtlich begann er langsam durchzudrehen.
    Zur Donau ging es abwärts, seine Orientierung hatte ihn wenigstens nicht im Stich gelassen, schon von weitem hörte er das Krächzen der Raben.
    Beim Betreten des Schiffes drückte Mona jedem Einzelnen einen Bewertungsbogen in die Hand. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.
     
    Bei Kilometer 134 mündete der Fluss Prut, der die Grenze zwischen Rumänien und Moldawien bildet, in die Donau. Moldawien besaß den kürzesten, nur einen halben Kilometer langen Abschnitt des Flusses. Dieser schwer geprüfte Staat besaß also auch ein Stückchen Donau und hoffte, damit zu Geld zu kommen. Doch die Welt ahnte nicht einmal, dass Moldawien überhaupt existierte, und Martin beschloss, es den Amerikanern gar nicht auf die Nase zu binden, denn die waren längst verwirrt, diese Fülle an Orten, unbekannten Sprachen und Währungen …
    Die letzten hundert Kilometer floss die Donau einfach gen Osten. Martin hatte diese unnatürliche Ruhe des Urwalds vor Augen. Im Delta herrschten Ewigkeit und Trägheit. Bunte Vögel krächzten und flogen wie schon in der Urzeit herum, die Welse lauerten in den Buchten schon seit Jahrtausenden auf ihre Beute. Die Gegend erinnerte an archaische Gebiete dieser Welt wie Amazonien oder den afrikanischen Dschungel. Das Vieh weidete ohne Aufsicht. Im Schilf quiekten die Schweine, die den Hirten wie Hunde nachliefen. In die Ruine eines Bauernhauses waren zwei Esel eingezogen. Ausgemergelte Pferde mit durchhängenden Kreuzen und diversen Anzeichen von Krankheiten spitzten die Ohren, die
America
schien ihnen zu gefallen.
    Das Donauwasser wurde schwärzer und dichter. Silbrige Fische streiften die Oberfläche, Vögel querten den Horizont. Die Seen und Feuchtwiesen waren mit weißen und gelben Seerosen überwuchert, in denen die Motoren kleinerer Boote steckenblieben. Auch die Luft veränderte sich; das Licht, die Gerüche und die Farben bekamen den Beigeschmack des Meeres. Rumänen, Lipowaner, Ukrainer, Aserbaidschaner, Armenier, Juden und Tataren lebten hier nebeneinander. Martin stellte sich die Menschen vor, die in diese Welt gehörten – in eine ewige Feuchtigkeit und in klare Morgen, wo es den Menschen im Tiergebrüll die Ohren verschlägt, wo selbst der Boden unter den Füßen nachgibt. In den Auen erinnerte das Donauwasser an zähflüssigen Sirup, der die Fischerboote festzuhalten vermochte. Die leeren Schiffswege, die sich wie sinnlos durch die Gegend schlängelten, wirkten nahezu unwirklich, fast verwunschen.
    Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gehörte das Delta zu Rumänien, danach fiel es zusammen mit Moldawien an die Sowjetunion. In der kommunistischen Zeit wurde die Grenzregion hermetisch abgeriegelt, ohne Sondererlaubnis durfte sie niemand betreten. Heute war das linke Ufer ukrainisch und das rechte rumänisch. Die Grenze der Europäischen Union führte durch die Flussmitte oder verlief kompliziert entlang der Ufer. Jede neue genaue Karte des Donaudeltas war nach wenigen Monaten veraltet, die Inseln verschoben sich ständig. Nur die örtlichen Seeleute kannten die Fahrrinnen genau, weil sie sie täglich befuhren.
    In der Nähe des Dorfes Caraormanu, was auf Türkisch »schwarzer Wald« bedeutet, ließ Ceauşescu eine Goldschürfanlage errichten. Die monströsen Maschinen waren allerdings nie in Betrieb gegangen und rosteten nun vor sich hin. Der wahnsinnige Diktator befahl, das Delta trockenzulegen. Riesige Seen bei Murighiol und an anderen Orten ließ er in Wiesen umwandeln. Der Fluss ließ sich jedoch nicht so einfach beherrschen, und das Vorhaben brach in sich zusammen. Dann entschied der Präsident, es sollte

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