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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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kam, stellte er fest, dass er kaum zwei Stunden lang geschlafen hatte. Er knipste die Lampe an und lauschte. Nichts. Irgendwo auf dem Schiff lauerte ein Killer. Er konnte seine Angst nicht mehr beherrschen, verbarrikadierte die Tür und kontrollierte noch einmal das Schloss. Er kehrte ins Bett zurück und schaltete sich einige Male durch die diversen Fernsehkanäle, bis er bemerkte, dass er nach wie vor mehr auf die Bilder in seinem Kopf als auf den Bildschirm konzentriert war. Es war noch nicht vorbei.
    Auch am nächsten Morgen verspürte er diese Unruhe. Er hatte den Verdacht, jemand würde ihn beobachten, war sich dessen nahezu sicher. Wem würde er fehlen, wenn er im nächsten Hafen verschwände? In seinem Job hatte er sich immer schon austauschbar gefühlt Wäre es nicht das beste, einfach abzuhauen?
    »Während unserer ganzen Reise hat es nicht ein einziges Mal geregnet. Das habe ich im Lauf meiner Karriere bei der ADC noch nie erlebt«, erklärte er. »Ich bin überzeugt, dass auch unsere letzten gemeinsamen Tage exzellent sein werden.«
    Blumige Landschaftsbeschreibungen waren in diesem Abschnitt kaum möglich. Die Donauszenerie hatte sich gewandelt. Er konnte kaum glauben, dass diese Gegend hier einst zu den reichsten des ganzen Kontinents gehört hatte. Nach seinem Siegeszug durch Dakien schleppte Trajan 200 Tonnen Gold, 300 Tonnen Silber und Horden von Gefangenen und Sklaven an. Die kolossalen Feierlichkeiten und Gladiatorenspiele in Rom dauerten 123 Tage lang. Mittlerweile kämpfte die Region gegen eine erschreckende Armut an. Die Raubzüge unter Ceauşescu hatten allerdings selbst die der römischen Eroberer bei weitem übertroffen.
    In der Hafenstadt Cernavoda war die längste Donaubrücke gebaut worden, die in einen künstlichen Kanal mündete; dieser führte bis zum Ufer in Constanta. Die politischen Häftlinge hatten hier Schwerstarbeit geleistet, und das Projekt brachte die Wirtschaft dergesamten Region zum Erliegen. In Zeiten der Megalomanie maß man das menschliche Glück lieber in Kubikmetern, Beton und noch mal Beton. Der Kanal war 64 Kilometer lang und für Güterschiffe wie auch die Personenschifffahrt gedacht.
    Beide Ufer gähnten vor Leere, Autowracks ohne Motoren, Türen und Räder aber mit eingeschlagenen Scheiben und offenen Motorhauben lagen überall herum. Auf der Böschung war der aufgedunsene Kadaver eines Esels zu sehen. Immer öfter beobachtete Martin Herden spindeldürrer Wildpferde, die das trockene Gras abgrasten oder dem Schiff hinterhergaloppierten. Die
America
traf lediglich auf vier Schiffe unter ukrainischer Flagge, deren Verkleidung seit langem keinen Pinsel mehr gesehen hatte.
    Unter Atanasius Hand wich die
America
allen Untiefen aus. Die Donau floss in zwei großen Armen in Richtung Norden, wobei sie den tieferen linken Arm nahmen. Es sah aus wie in jenem Tal der verdorrten Gebeine, von dem der Prophet Ezechiel einst berichtet hatte. Überall nisteten Störche, die in den stehenden Sümpfen Frösche jagten.
    In die Hafenstadt Braila liefen sie im allerletzten Augenblick ein. Die
America
ankerte um Punkt zwei Uhr. Schon um halb drei begann die Stadtführung. Die Raben flogen in Schwärmen auf, offensichtlich mussten auch sie sich etwas zu essen besorgen.
    Da er noch nie in Braila gewesen war, dachte er sich irgendwelche Geschichten aus. Er erzählte von der Antike, über die Daken und das Reich der Osmanen, über das Königreich und den Adel; die Jahreszahlen waren frei erfunden. Auf vielen Wegen war der Straßenbelag nicht fest, die Arbeiter hatten den Asphalt einfach direkt in den Schlamm geschüttet. Die Gruppe gelangte schließlich im Schneckentempo bis ins Zentrum. Es überwogen niedrige Häuser, vorwiegend Jugendstil aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Beeindruckend wirkte das Maria-Filotti-Theater, in dem laut Aushang auch einmal die Schauspielerin Sarah Bernhardt aufgetreten war. Auf der zentralen Mihail-Eminescu-Straße wechselten sich historische Gebäude undarchitektonische Schandtaten ab. Mit dem Eintreffen der Touristen strömte eine Menschenmasse auf die Gehsteige, die Fahrbahn und die Kaffeehausterrassen. Auf armseligen Bänken saßen alte Frauen mit Kopftüchern und Gebetsbüchern in den Händen, beobachteten den Gänsemarsch und tratschten.
    Martin schaute sich immer wieder um und prägte sich jede Ecke ein. Er orientierte sich recht schnell. Er dachte gar nicht daran, den Amerikanern etwas Freizeit für Kaffee und Einkäufe zu gewähren. Er

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