Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
Vom Netzwerk:
höchstpersönlich vor seiner Villa. Die Summe raubte Martin beinahe den Atem. Allerdings, so hart arbeitende Menschen hatten doch Anspruch auf eine angemessene Entlohnung? Krasimir hatte dunkle Ringe unter seinen hellblauen Augen, vielleicht vom Clubbing am Vorabend. Er verkörperte einen neuen Politikertyp, der den etablierten Parteien das Fürchten gelehrt hatte und seinen Sieg darauf baute, dass jeder zweite Bulgare die EU verachtete und Ausländer zutiefst hasste. Er stand, von vier Bodyguards umgeben, vor seinem Autopark, bestehend aus Cadillacs und Lincolns, mit Blaulichtern auf den Dächern. Seine reichverziertesteinerne Festung (frei nach Walt Disney) hatte allerdings Fenster, die eher Schießscharten glichen, fürs Schauen gänzlich ungeeignet. Gleich nebenan thronte ein dreistöckiger Palast, eine aufgeplusterte Kopie einer TV-Ranch, den er für seine Tochter hatte errichten lassen. Dahinter entstand gerade eine private weiße Kirche mit vergoldeten Zwiebeltürmen und einem lächelnden Patriarchen über der Tür. Auf dem dahinterliegenden, etwa zwei Fußballfelder großen Grundstück wollte Krasimir einen Aquapark mit Kasino und einem Einkaufszentrum für die Betuchten errichten.
    Im Anschluss durften sich die Touristen kurz mit dem Bürgermeister fotografieren lassen; dann sang ein Knabenchor die bulgarische Hymne »Mila rodino ty si zemen raj«.
    Anderthalb Stunden später kehrten die Busse nach Russe zurück. In dieser Stadt kam im Jahre 1905 Martins Lieblingsautor und wohl auch ihr berühmtester Sohn zur Welt – Elias Canetti, der viersprachig aufwuchs und seine Literatur auf Deutsch verfasste. Er dachte an Rovans Vorlesungen über Canettis
Masse und Macht
, »Masse« existierte, solange es ein gemeinsames Ziel gab und individuelle Absichten unterdrückt werden konnten. Er wusste nicht, ob Canetti einverstanden wäre, doch beim Anblick der Passagiere wurde er sich seiner erschreckenden Ähnlichkeit damit bewusst.
    Lange Jahre war Canettis Gedenktafel am falschen Haus angebracht gewesen. In jenem Hof, wo der Autor einst als Kind gespielt hatte, wurde irrtümlich Gemüse angebaut.
    Der alternde Schriftsteller hatte oft behauptet, dass alles, was er im Laufe seines langen und abenteuerlichen Lebens in Österreich, Frankreich, Deutschland, England und der Schweiz erlebt hätte, sich schon während der ersten sechs Jahre seines Lebens in Russe, das er stets mit dem alten Namen »Rustschuk« nannte, abgespielt hätte; Martin konnte sich das allerdings nicht vorstellen. Doch er hatte längst keine Zeit mehr, um über Bücher nachzudenken. Die
America
legte schon um fünf Uhr ab.

25. DAS TAL DER VERDORRTEN GEBEINE
    Bislang hatte sich Martin Roy durchaus auf vertrauten Wegen aufgehalten; der Rest der Reise würde allerdings eine große Unbekannte darstellen. Er überprüfte telefonisch jeden weiteren Schritt, bis zu den allerkleinsten Details. Vorsichtshalber notierte er sich die Namen der bestellten Reiseführer und ihre Kontaktdaten.
    Es wurde dunkel. Von den Ufern war das Brummen der Stromaggregate zu hören. Obwohl überall kreuz und quer diverse Drähte gespannt waren, gab es kein funktionierendes Stromnetz. In den Siedlungen herrschte tiefste Nacht, wenn Licht vonnöten war, gab es ja noch Autoscheinwerfer.
    Bei Kilometer 374, unterhalb der Stadt Silistra, floss die Donau wieder nach Rumänien. Die
America
fuhr auch des Nachts. Die Donauufer wurden von der Milchstraße beleuchtet. Martin betrat seine Kajüte und bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Zunächst hätte er nicht sagen können, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein Stapel Papiere lag etwas weiter links, als er es in Erinnerung hatte. Ein Buch ragte aus dem Regal hervor. Die Schublade des Schreibtisches war geschlossen, doch Martin konnte sich ganz genau erinnern, sie halb geöffnet zurückgelassen zu haben. Die Kleidungsstücke lagen ebenfalls anders, als er sie gestern hingelegt hatte. Die Überzeugung, dass jemand seine Kajüte durchwühlt hatte, wurde immer stärker. Er schloss die Tür ab und sah sich noch einmal um, ob auch nichts fehlte.
    Es war ihm nie zuvor passiert, dass jemand bei ihm eingedrungen war. Er überprüfte erneut seine persönlichen Gegenstände und stellte fest, dass noch alles da war. Wer war das? Er versuchte lieber schnell einzuschlafen, doch es gelang ihm nicht. Die Gedanken kreisten weiter.Der Fluss plätscherte geheimnisvoll. Dann siegte allerdings doch die Müdigkeit.
    Als er wieder ruckartig zu sich

Weitere Kostenlose Bücher