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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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Unfähigkeit, Feigheit oder es wurde einfach kurzerhand gekappt.
    Die Boote klatschten aufs Wasser. Doch sie waren halb leer, während sich die Verzweifelten an Deck drängten. Zwei Seeleute sprangen geschickt in die heruntergelassenen Boote. Das vierte Boot klatschte zu Wasser und legte ab.
    Zwei Ruder gingen hoch, das Boot schoss mit unerwarteter Geschwindigkeit davon. Die Flüchtenden ruderten mit voller Kraft in Richtung Sandbank. Martin schoss zweimal eine Signalpistole ab und warf zwei Rettungsringe ins Wasser.
    Die Platzeinteilung in den Booten wurde vollkommen ignoriert. Weitere drei Boote wurden herabgelassen, doch sie verloren die Ruder, und die Passagiere konnten sie nicht lenken.
    Die
America
neigte sich erneut und weitere Menschen fielen ins Wasser. Tamás kippte plötzlich um und wurde in die Dunkelheit gerissen.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte sich Martin. Er sah lieber nichtin den schwarzen Abgrund, der ihn nahezu magisch anzog. Der Kapitän riss das letzte Mal die Tür auf und schrie:
    »Wer eine Rettungsweste hat, springt, sofort, springt! Das Schiff kann explodieren! Rettet euch! Vergesst nicht, im Wasser zu pfeifen! Rette sich wer kann!«
    Seine Stimme brach ab. Er wusste, dass nun alles vorbei war, und sagte kein Wort mehr. Krampfhaft hielt er sich am Ruder fest.
    Martin wies die Amerikaner an, nicht mehr länger zu warten. Die letzten Besatzungsmitglieder und Passagiere liefen schreiend an ihm vorbei und stürzten sich ins Wasser. Er war mit dem Kapitän bis zuletzt an Bord geblieben. Das Deck sank ihnen unter den Füßen weg, das Wasser reichte schon bis zur obersten Reling und riss die verbliebenen Sonnenliegen mit sich.
    Er kontrollierte noch einmal seine Rettungsweste. Atmete dreimal tief ein. Dann nahm er Anlauf, stieß sich mit aller Kraft ab und sprang zum ersten Mal in seinem Leben von einem Schiff ins Wasser.

27. DER ERBE DES IMPERIUMS
    Er schluckte jede Menge Wasser, etwas dermaßen Widerliches hatte er noch nie zuvor trinken müssen. Dem Ersticken nahe, wurde sein Kopf auf und ab geschleudert.
    Aus alten Geschichten wusste er, dass die Donau alle Schuldigen in Fische verwandelt, zum ewigen Schwimmen verurteilt, verdammt, nie in einem Hafen anzukommen. Er versank in dunkle Wasserkatakomben, wo vergessene Schiffe und Anker rosteten, ins Unterdeck dieses Flusses, bis zu den Knochen der Ertrunkenen.
    Doch schließlich spuckte die Donau Martin aus, als ob sie ihn nach vielen Jahren endlich hätte loswerden wollen. Es vergingen einige sich ewig in die Länge ziehende Augenblicke, dann hörte er wieder das Prasseln des Regens. Er schwamm los und steuerte das Ufer an.
    Er drehte den Kopf nach hinten. In der Dämmerung war noch einmal kurz die Spitze des Radars zu erkennen, der sich zum letzten Mal über den Wellen drehte: ein wankendes Grabmal, die Stelle eines nassen Grabes markierend. Dann verschwand auch sie. Auf der Wasseroberfläche trieb nur noch der Schaum. Die Strudel hielten auch ein einsames Boot samt Besatzung gefangen. Über dieser schwebten mit lautem Krächzen Möwen, Pelikane und Raben.
    Er hörte all die Schiffbrüchigen auf herumtreibenden Teilen und in den Booten, die alle ans Ufer kommen wollten, wie sie pfiffen, riefen und winkten. Leuchtraketen wurden in die Höhe geschossen. Mit jeder seiner Bewegungen wuchs auch die Müdigkeit, ihm war speiübel. Seine Augen trübten sich. Er konnte nur noch ans Festland denken. Der Strom zog ihn immer weiter, weg vom Ort der Katastrophe.
    Die Hände gehorchten ihm nicht mehr. Er gab auf, tauchte unter und sank zum Boden. Sein letzter Blick auf die Welt war der durcheinen braunen Strudel. Wo waren seine
Friends
? Er fühlte sich wie eine
Desperate Housewife
und nicht mal
Dr. House
konnte ihm helfen. Er war Britney Spears mit kahl geschorenem Kopf im Rettungswagen, die geschlagene Rihanna, die Spritze, die Michael Jackson tötete, der elektrische Stuhl des Ehepaars Rosenberg. Jetzt war er mehr als
Six Feet Under
. Marilyn Monroe am frühen Morgen des 4. August 1962, James Dean das letzte Mal in Fairmont, Kurt Cobain mit Gewehr in der Hand im Haus in Seattle, der nackte Heath Ledger, reglos im Apartment in Lower Manhattan liegend. Die Donau in Amerika.
    Mit der großen Zehe verfing er sich in irgendetwas. Wahrscheinlich stieß er an einen Ast oder ein Algenbüschel, er wusste nicht, ob er nur träumte oder ob es wirklich passierte, kurze Zeit später stand er allerdings bis zu den Knien im Schlamm, mit nassen Haaren, die ihm in die

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