Tod auf der Donau
Ausweg. Er atmete tief ein, beugte sich, so tief es nur ging, und griff mit den Fingern in das Eis. Der Frost befreite ihn. Seine Lider wurden schwerer, er schlief kurz ein. Vielleicht halluzinierte er. Nur nicht einschlafen!
Er bekam einen Draht zwischen die Finger. Ein Elektrokabel, das die Maschine im Betrieb hielt, die Temperatur einstellte und wohl auch das Schloss sicherte. Er wusste, dass es wahrscheinlich einem Selbstmord gleichkam, doch bohrte er trotzdem seinen Fingernagel unter das dicke Kabel und zog und zerrte daran. Nichts. Er stemmte sich mit den Füßen ab und zog mit seinem ganzen Körpergewicht.
Endlich riss das Kabel heraus. Es kam zu einem Kurzschluss. Martinbekam einige Stromschläge ab. Mit letzter Kraft richtete er sich auf. Diesmal ließ sich der Deckel öffnen. Er fiel über den Rand und blieb reglos liegen, überzeugt, dass das hier das Ende war. Dann folgte wieder Dunkelheit.
Ein trockenes Knistern weckte ihn erneut. Er wusste nicht, ob Sekunden oder Stunden vergangen waren. In einer wahnwitzigen Hoffnung gefangen, redete er sich tatsächlich ein, gerettet zu sein. Die Wand vor ihm stand in Flammen, die Drähte platzten nach und nach auf. Ein Kurzschluss jagte den nächsten. Im Dämmerlicht erkannte Martin eine Wolke vor sich. Er krümmte sich zusammen. Die Schwaden kamen vom oberen Lüftungsloch. Dort, in den Hohlräumen zwischen den Isolierschichten, zwischen den Blechen, in ungelüfteten Spalten zwischen den Pressspanplatten, loderten Flammen.
Er konnte sich keinen Millimeter bewegen. Wasser floss über den Boden, warmer Dampf stieg auf. Es schüttelte ihn, von einer noch nie gefühlten Kälte. Er fürchtete, sein rechtes Bein würde absterben. Er hustete, seine Augen tränten. Also war er dem Eis entkommen, um zu verbrennen.
Er wollte schreien, um Hilfe rufen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Er fühlte, dass die
America
weiterhin fuhr, die Crew schlief wohl ihren Rausch aus, und die Passagiere schlummerten. Er durfte keine Sekunde mehr verlieren. Sein Herz schlug hart, in den Ohren dröhnte es.
Er nahm sich zusammen und machte sich langsam auf den Weg zum Maschinenraum. Keine Menschenseele. Nirgends. Er schaffte es bis zum SOS-Schrank und zog sich die orangefarbige Schwimmweste an. Er griff nach einem dünnen Eisenrohr, das am Boden lag, und stützte sich darauf ab.
Durchs Fenster erkannte er, dass der Wind zugenommen hatte, der Himmel war von Regenfäden durchschnitten. Er kam endlich zur Rezeption. Keiner da. Der Fernseher brummte. Aus der Klimaanlage strömten erste Rauchwolken.
»Feuer! Alarm! Es brennt! Es brennt!«, krächzte er.
Er umwickelte seine Faust mit einem Vorhang und schlug das Glas der Alarmanlage ein. Die Feuersirene jaulte auf.
Die Kajütentüren wurden nach und nach aufgestoßen. Verschreckte Köpfe amerikanischer Pensionisten kamen zum Vorschein. In ihren Gesichtern war Verwirrung zu lesen, keinesfalls Panik.
»Gehört das zum Programm? Exzellent!«, rief Jeffrey Rose.
Martin schüttelte ratlos den Kopf. Flammenzungen leckten zögerlich an der Decke. Aus kleinen Löchern in der Decke spritzte das Pech, die Holzspalten öffneten sich, der flüssig gewordene Lack tropfte aufs Deck. Keine Platte und kein Stück Plastik blieb vom Feuer verschont.
»Zieht die Rettungswesten an! Jeder zieht sich eine Weste an!«
»Wasser, bringt Wasser!«, schrie Atanasiu.
Die Besatzung war binnen drei Minuten mobilisiert – in einem schrecklichen Zustand. Die betrunkenen Matrosen versuchten irgendwie zu löschen. Selbst die Putzfrauen hatten ordentlich gesoffen. Die Situation war ernst, allerdings nicht völlig aussichtslos. Gábor Kelemen torkelte so besoffen daher, dass er sich automatisch ans Klavier setzte und zu klimpern begann. Martin stoppte ihn und zog ihm eigenhändig eine Weste an, denn der hätte sich nicht einmal mehr den Hosenknopf allein zumachen können.
Der Kapitän erwies sich plötzlich als ein überraschend entschlossener Mann. Mit lauter Stimme gab er Befehle, erteilte der Crew Anweisungen, schickte jemanden mit einem Funkgerät aufs Oberdeck, andere wies er an, Kübel oder sonstige Gefäße zu suchen. Inzwischen flogen die ersten Funken. Tamás packte das Löschgerät, zog den Ventilbolzen heraus, nahm den Schlauch und betätigte es. Der Schaum spritzte, doch das Feuer war zu stark.
»Setzt SOS-Funksprüche ab. Schaltet alle Alarme ein. Wasser, wir brauchen Wasser. Alle Löschgeräte, Seile und Leitern!«
Martin wünschte, diese höllische
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