Tod auf der Donau
Richtung Oberdeck.
Auf dem ganzen Schiff gingen die Lichter aus. Nur über dem Bartresen blinkte das Notlicht. Martin tastete sich die Gänge entlang. Der Vorhang hinter dem Rezeptionstisch fing Feuer. In einem Funkenmeer krachte die Decke herab. Innerhalb weniger Sekunden verwandelte sich der Gang in einen Hochofen.
Es donnerte, und im nächsten Augenblick schlugen irgendwo Blitze ein. Die Natur kämpfte auch gegen das Feuer. Und in der Tat, an einigen Stellen wurden die hellen Flammen gelöscht. Die Passagiere glaubten, in der Ferne Schiffe zu erkennen, die kämen, um die
America
zu retten, und als sie ihre falschen Hoffnungen begraben mussten, verfielen sie in eine noch größere Verzweiflung.
»Das Wasser ist ins gesamte Unterdeck eingedrungen und zieht uns nach unten. Wir müssen das Schiff evakuieren«, schrie Atanasiu.
Martin atmete immer schwerer. Jetzt half nicht einmal mehr das nasse Taschentuch, das er sich vor die Nase hielt. Auf den kleinen Balkons drängten sich VIP-Paare und riefen um Hilfe.
»Im Unterdeck haben sie nun fast zwei Meter Wasser gemessen. Die Pumpen gehen nicht mehr an«, meldete Sorin.
Die
America
bekam Schlagseite. Zur anderen Reling zu gelangen bedeutete, einen Aufstieg zu wagen. Durch die starke Neigung fielen die hölzernen Intarsien, die an den Wänden in der Rezeption und in den Kajüten angenagelt waren, heraus. Das Wasser drang immer höher und riss alles mit, was sich ihm in den Weg stellte.
Das Schiff sank mit unerwartet hoher Geschwindigkeit. Die Männer standen bis zu den Knien im Wasser und pumpten das Wasser quer übers Deck, wo es erneut in den Fluss fiel.
Jeff Rose machte eine Flasche Whisky auf und setzte sie an.
»Leute, hört mir gut zu«, schrie der Kapitän. »Ich befehlige dieses Schiff und verlasse mich auf euren Gehorsam. Gott stehe uns bei!«
Kaum war er fertig, drangen dutzende Wasserratten in den Gang. Wohlgenährte Körper mit langen Schwänzen rasten quietschend in alle Richtungen.
Die Menschen rannten vor den Tieren davon, stießen und drängten sich, kämpften und traten erbarmungslos aufeinander. Der Überlebenskampf in seiner primitivsten Form brach aus.
Das Schiff wurde von einem immer größer werdenden Lärm überrollt. Als würde ein tobender Riese mit einem Hammer ein Eisenwarengeschäft zertrümmern. Der Kapitän drängte die Schiffsleute weiterzukämpfen, doch die hatten längst aufgegeben. Ihre Uniformen waren zerrissen, die Ellbogen hatten sie sich blutig geschlagen, die Finger zerschunden.
Dragan verließ seinen Posten, und weitere schlossen sich ihm an. Der Kapitän schrie sie an, vergebens. Einige torkelten nur noch herum und warteten wie Kühe auf ihr nahes Ende.
Atanasiu stand vor seiner schrecklichsten Entscheidung. Nach einer kurzen Diskussion, an der Martin auch teilnahm und die zu keinem Ergebnis führte, kam schließlich der Befehl:
»Alle verlassen das Schiff!«
Die
MS America
verfügte über insgesamt zwölf Rettungsboote. Martin band sich mit einem Seil an der Reling fest.
»Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor. Wir gehen unter! Im Wasser müssen Sie so schnell es geht vom Schiff weg!«, brüllte Atanasiu.
Die Passagiere hielten sich mit letzter Kraft an der Reling fest, um nicht in den schäumenden Fluss geworfen zu werden. Tamás war durch die unmenschliche Anstrengung an den Pumpen völlig erschöpft, er hielt sich jedoch weiter aufrecht. Es gelang ihm, die ersten zwei weißen Boote mit schreienden Passagieren hinunterzulassen; sie wurden wie Nussschalen hin und her geworfen. MancheAmerikaner legten sich auf den Boden, andere hielten sich an den Planken fest, einige setzten sich an den Rand und streckten ihre Füße aus. Martin hoffte, die Rettungswesten würden auch die Fettleibigen über Wasser halten. Vom Schiff ins Boot zu steigen war schon eine Herausforderung, für die Behinderten eine Katastrophe. Martin und Tamás trugen Arthur Breisky, doch dieser widersetzte sich, er wollte nicht, genauso wie Erwin Goldstucker.
»Lasst die Jüngeren einsteigen, ich bin ja schon alt«, rief Josephine und ließ die verschreckte Foxy vor.
»Danke«, sagte Martin. »Keine Angst, wir kümmern uns gleich um Sie.«
Bei einem entschlossenen Handeln hätten sich alle retten können, doch angesichts des Egoismus von vielen, brach der Plan bald wie ein Kartenhaus zusammen.
Im Gedränge schlugen die Menschen mit Fäusten aufeinander ein. Chaos brach aus, und das Verbindungsseil zweier Boote löste sich vorzeitig – aus
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