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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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sich ein paar Pferdefuhrwerke und einige weiße Dacias 1300, deren Flanken mit der Aufschrift »Uzina Automobila Pitesti« versehen worden waren.
    In der Dämmerung wiesen Baumstämme wie uralte Monolithen nach oben, die einst irgendein vergessenes Volk errichtet hatte, um an die geheimnisvollsten Begebenheiten seiner Geschichte zu erinnern. Schließlich stieß er auf die Tafel »Spital Tichilesti«.
    Er erreichte einen kleinen Gebäudekomplex, an dessen hinterem Ende eine Kapelle stand. Hinter den Fensterscheiben beobachteten ihn einige Menschen. Versehrte, mit schiefen Mündern und ohne Finger. Die Frauen hatten ihr Haar zu kleinen, festen Dutts hochgesteckt, die Gesichter waren durch allerlei Narben entstellt, an den dünnen Hälsen schimmerten Adern und Sehnen durch.
    Irgendwo aus dem Inneren eines Gebäudes stieg Essensduft. Eine Frau deckte den Tisch und zog eine Weißweinflasche hervor, ohne Etikett wohlgemerkt. Sie grüßte Martin und bat ihn einzutreten. Sie gab ihm einen Teller mit Essen und reichte etwas Brot. Neben ihn stellte sie einen Krug Quellwasser und zwei Schälchen. Ihr Name war Nastasja Obolenska.
    »Der Brunnen ist tot, wir trinken das lebendige Wasser des Flusses. Und Wein natürlich. Unseren eigenen.«
    Sie sprach ein überaus altmodisches Russisch. Er kramte in seiner Erinnerung nach Vokabeln dieser Sprache, einst in tschechoslowakischen Schulen ein Pflichtfach. Der erste Gang, eine Art Borschtsch aus Karpfen, hatte den ganzen Tag vor sich hingeköchelt. Er löffelte die Suppe aus, und es folgten ein Schwarzbrot mit Fisch und Creme aus Fischeiern, Sonnenblumenöl, Zitronensaft und Weinessig. Er schlang alles so hektisch herunter, dass er sich selbst schämte.
    Er half ihr, den Tisch abzudecken. Danach zerbrach er sich den Kopf, wie es mit ihm weitergehen sollte. Er bräuchte noch mindestens zehn Stunden, damit sein Kopf wieder halbwegs funktionierte.
    Nastasja begann zu erzählen. Martin befand sich in der letztenLeprakolonie Europas. Nastasjas Mutter Dorofeja hatte mehr als 60 Jahre dort überlebt, erst im April dieses Jahres war sie verstorben. Nastasja hatte in Sibia Medizin studiert, doch hatte sie sich dafür entschieden, nach Tichilesti zu ziehen. Die Krankheit war bei ihrer Mutter während des Zweiten Weltkriegs ausgebrochen, ein paar kleine Flecken auf den Wangen, sie selbst war damals acht Jahre alt gewesen. Auch ihre Schwester erkrankte. Gemeinsam waren sie in dieses Sanatorium gekommen, sie durften nie wieder in die normale Welt zurückkehren, ohne jede Hoffnung, jemals wieder gesund zu werden. Und gemeinsam mit ihnen all die Stummen, Blinden und Fingerlosen. Nach dem Krieg hatten hier mehr als 600 Patienten gelebt, in den sechziger Jahren waren es noch gut 200 gewesen. Als dann ein Mittel gegen Lepra gefunden wurde, verlor die Krankheit ihren Schrecken. Die Insassen wurden zwar geheilt, aber kaum einer verließ die Kolonie.
    Nastasja Obolenska zählte zum kleinen, allerdings überaus stolzen Volk der Lipowaner, Herrgottverbundene, die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Russland fliehen mussten.
    Manche Lipowaner verbargen sich im Baltikum vor dem Zorn Iwan des Schrecklichen, andere im Ural oder am Baikalsee und viele auch im Donaudelta. Die meisten von ihnen leben in Braila, doch auch in der Gemeinde Slava Rusa befinden sich zwei ihrer Klöster. Das Toleranzedikt von Josef II. garantierte den Lipowanern schließlich Religionsfreiheit. Martin verstand plötzlich, dass das Delta ursprünglich auch zum Habsburgerreich gezählt hatte, er fühlte sich gleich wie zu Hause.
    »In unserem Glauben herrschen strenge Sitten. Ein Altgläubiger darf nur eine Altgläubige ehelichen, und wenn er eine andere zur Frau haben will, muss diese zu unserem Glauben übertreten und ihn in unserer Kirche zum Mann nehmen. Und wenn eine Altgläubige etwa einen Ukrainer geheiratet hatte, lehnte es der Priester später ab, sie zu bestatten. Heute ist natürlich längst alles anders«, erklärte sie.
    Ihre Stimme beruhigte ihn. Er konnte kaum noch die Augen offen halten. Bestimmt war das Fieber wieder gestiegen. Er musste sich endlich ausschlafen.
    Er wachte erst am Nachmittag auf, sein Kopf schmerzte, und der Mund war völlig ausgetrocknet. Er wollte nur liegen bleiben. Das Fieber stieg immer noch. Der Husten erstickte ihn beinahe. Er zitterte und schlief ständig ein, nur um bald wieder mit kaltem Schweiß auf der Stirn hochzuschrecken. In seine Visionen drang das Geräusch der Stöcke und Krücken, dieses

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