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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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hingesetzt.
    Hunderte von Menschen waren beim Bau des Suliner Kanals umgekommen, einem der ersten Projekte, das Europa im Jahr 1856 gemeinsam betrieben hatte. Martin lief bis ans äußerste Ende der Mole, wo die Donaukilometer bereits im Minusbereich lagen, allerdings tauchten dort ständig neue Ablagerungen auf. Jährlich lud der Fluss 80 Tonnen Treibgut ab. Die starke Strömung der Donau verdünnte das Meer und machte dieses zu Süßwasser, auch noch acht Kilometer weit von der Mündung entfernt.
    Die Zeremonie sollte um vier Uhr beginnen. Er stieg auf einen alten, jedoch sehr sorgfältig restaurierten Leuchtturm, der einst der berühmten Donaukommission gehört hatte. Seine Fundamente befanden sich auf einer grünen Wiese. Oben angelangt, hielt sich Martin am Geländer eines mit Spinnweben besetzen Balkons fest. Er bewunderte die Solarspeicher, die gläsernen Prismen und stellte sich vor, wie das Leuchtfeuer einst Nacht für Nacht die Schiffe navigiert hatte.Die sowjetische Ausstattung musste von Hand bedient werden, doch sie war schon seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt worden.
    Zum Mittagessen gab es einen Hecht, und danach ging es zum Strand. Die Badewilligen wurden in klapprigen Autobussen zum Meer transportiert. Martin ging lieber zu Fuß. Das Gelände war wie aus einem seltsamen Traum. Harter Staub peitschte einem unerbittlich ins Gesicht, Bäume, Gras, an allem nagte er und rauhte die Haut auf. Auf dem steinigen Boden wuchsen eigentümliche, dickblättrige Pflanzen, die Knollen mit Stacheln gespickt, und überall trugen sie gelbe Dornen.
    Er kletterte über die letzte Düne. Schweißtropfen perlten seinen Körper hinab. Das Meer war Tausende unüberschaubare Meilen groß, die alten Perser hatten es als heilig betrachtet, und die Griechen sprachen ihm sogar einen eigenen Gott zu, einen Bruder des Zeus. Irgendwo hinter dem Horizont, am gegenüberliegenden Ufer, lagen Odessa, Sewastopol und noch weiter weg Sotschi und Batum.
    Der Himmel und die Wasseroberfläche bildeten eine zusammenhängende graue Fläche. Man konnte das weiße Rauschen hören, rotweiße Bojen schlingerten durchs Wasser, und weithin war der Geruch des Salzes auszumachen. Die verwesenden Körper der Fische und Quallen lagen im Sand und überall auf den Felsen. Die salzigsüßen Wellen schluckten und fraßen Sand und Kies. In seiner näheren Umgebung lagen Melonenschalen, Holzstücke und Blechdosen. An den Stellen, wo Strandbars das heiße und verdreckte Wasser abließen, verhärtete sich der Sand zu einer festen Kruste.
    Der Suliner Friedhof lag etwas abseits, einsam und verlassen zwischen Städtchen und Strand, von Dünen und Bäumchen umsäumt. Er war unbewacht, nur der Respekt der Leute schützte ihn. Es herrschte dort eine Reglosigkeit, dass man meinen konnte, niemals wieder würde auch nur irgendetwas passieren. Es gab Gräber in geraden Reihen, doch auch solche, die kreuz und quer im hohen und halb trockenen Gras angelegt waren, der Wind pfiff über sie hinweg. Eine jede Religion hatte ihren eigenen Bereich: jüdisch, muslimisch, katholisch,protestantisch und orthodox. Davidsterne, verschiedenste Kreuzarten und Halbmonde wechselten einander ab. Weiter hinten standen die massiven Grabsteine der reichen italienischen und österreichischen Bankiers der Donaukommission.
    An der Gedenkveranstaltung nahmen nur sehr wenige Menschen teil, Martin sah die meisten von ihnen zum ersten Mal. Ein jüngerer Bursche stellte sich ihm als Vertreter der regionalen Niederlassung der ADC in Bukarest vor. Die rumänischen Beamten und Sänger wirkten in ihren alten und geflickten Fracks wie graue Schatten. Doch sobald die Musik aufspielte, war alles vergessen. Jeder Sänger gab sein Allerbestes.
    Martin trauerte um Atanasiu, zugleich aber hatte er dieses Gefühl, dass er sich von einem Menschen verabschiedete, den er eigentlich gar nicht gekannt hatte. Die Zeremonie war schnell vorbei, allerdings durchaus würdevoll. Der Priester segnete die Stelle mit seinem Kreuz; seiner Predigt konnte Martin nicht folgen. Danach Umarmungen mit fremden Menschen.
    Sie verankerten den Gedenkstein, und der Akt war zu Ende. Martin irrte zwischen den Grabsteinen umher, viele waren halb im Boden versunken oder von dichten Grasnarben bewachsen. Die Armengräber in einem entlegeneren Winkel des Friedhofs waren mit der Zeit zu unterschiedlich großen Hügelchen angewachsen. Auf vielen zerfurchten Grabplatten, die in all dem schlechten Wetter nach so vielen Jahren verwittert waren,

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