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Tod auf der Koppel

Tod auf der Koppel

Titel: Tod auf der Koppel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
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seiner Ruhe und seinem Frieden vorbei war.
    Als hätte es dafür noch eines Beweises bedurft, fuhr im gleichen Augenblick ein großer eleganter Wagen vor. Augusta Wharton stieg aus. Sie marschierte ins Haus, in der einen Hand einen Schal und ein leicht verschmutztes Spitzentaschentuch haltend. Horace Wharton folgte seiner Frau.
    Augusta streckte Jim eine Hand entgegen, hauchte einen Kuß auf Annabels linkes Ohr und hätte gern auch ihren Enkel mit einem Kuß bedacht, wenn dieser sich nicht laut schreiend dagegen gewehrt hätte.
    »Guten Tag, Mutter. Nimm es James nicht übel. Er ist müde und sollte eigentlich schon im Bett liegen.«
    James brüllte dermaßen, daß man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Endlich machte Jim der Szene ein Ende. Er nahm seinen Sohn entschlossen hoch und brachte ihn ins Bett. Als er zu den anderen zurückkehrte, hatte sich Augusta bereits in ihrem kleinen Wohnzimmer niedergelassen, und Annabel bat sie gerade schicksalsergeben, mit ihnen zu essen.
    »Danke, liebes Kind. Du weißt, daß ich mir nichts aus Essen mache.«
    Ihre Tochter hatte das oft genug gehört. Sie wußte aber auch, daß sich das nicht auf Mahlzeiten bei anderen Leuten bezog. Augusta hatte nämlich einen recht gesunden Appetit. Trotzdem bestand Annabel nicht auf ihrer Einladung; sie hoffte, der Besuch lasse sich auf diese Weise abkürzen. Jim war unruhig. Eigentlich hätten sie ja noch weiter über Jocks Tod sprechen und beschließen müssen, was sie jetzt tun sollten. Ihre Mutter hätte wirklich zu keinem unpassenderen Zeitpunkt kommen können. Aber dafür besaß Augusta geradezu einen sechsten Sinn. »Ich möchte euch nicht lange aufhalten«, begann sie, wie stets, wenn sie vorhatte, ein paar Stunden zu bleiben. »Aber ich habe gedacht, ihr könntet mir vielleicht helfen. Ich habe etwas verloren, und ich kann nur hoffen, daß ich es bei euch wiederfinde. Leider erinnere ich mich nur dunkel, wo ich es zuletzt gesehen habe. Denn natürlich war ich mit all meinen Gedanken bei meinem neuesten Werk.« Bei diesen Worten machte sie eine weit ausholende Handbewegung, wobei sie Jims Aschenbecher vom Tisch fegte.
    Annabel hob den Aschenbecher ruhig wieder auf, stellte erleichtert fest, daß er nicht zerbrochen war, und fragte dann: »Was vermißt du denn, Mutter? Deine Brille, deine Ringe oder den Hausschlüssel? Ich hoffe, du hast nicht etwa dein Manuskript verlegt.«
    Aber das war eine falsche Vermutung. Augusta mochte alles verlieren, sogar ihre Kleider und ihren Mann — von einem Manuskript würde sie sich nie und nimmer trennen. Doch Annabel war nervös und nicht recht bei der Sache. Sie wäre so gern mit Jim allein gewesen und wollte doch nicht unhöflich zu ihren Eltern sein, vor allem nicht zu ihrem Vater. Ihre Mutter war freilich, wie sie wußte, völlig unempfindlich für die Gefühle anderer.
    »Mein Manuskript? Da sei der Himmel davor! Nein, ich bin meinen Lesern zuviel schuldig, als daß ich da nachlässig sein dürfte. Wenn ich etwas verliere, dann nur Dinge von materiellem Wert, was freilich traurig genug ist. Diesmal ist es die kleine goldene Uhr, die ich mir vom Honorar für meine erste Erzählung gekauft habe. Es war diese Geschichte einer jungen Nymphomanin, und was sie in Paris erlebt hat. >Gewagt und intim<, schrieben die Kritiker damals.«
    Dieses Urteil war berechtigt. Annabel konnte sich noch gut an die Geschichte erinnern. Damit hatte die Karriere ihrer Mutter begonnen. Rasch sagte sie: »Die hübsche kleine Uhr!« Die amerikanische Zeitung hatte recht gut bezahlt. »Wie konntest du sie nur verlieren? Leider ist sie bei uns auch nicht. Sonst hätte ich sie schon gefunden.«.
    Augusta sank schmerzlich in sich zusammen. »Damit ist meine letzte Hoffnung entschwunden. Ich dachte, ich hätte sie abgenommen, als ich das letzte Mal hier war, und sie irgendwo hingelegt.« Ihre großen blauen Augen, die ein bißchen an die einer Kuh erinnerten, wanderten fragend durch den Raum.
    »Es ist ein Jammer!« dachte Annabel. »Wenn Mutter doch einfach angerufen und nach der Uhr gefragt hätte!«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann meinte Horace Wharton, der heute noch unscheinbarer als gewöhnlich wirkte: »Jetzt fällt es mir wieder ein. Erinnerst du dich nicht, Augusta, daß wir gestern abend sehr zeitig gegessen haben, weil Greville und ich noch weg wollten?«
    »Richtig! Ich fand es ohnehin sehr rücksichtslos von euch, mich um halb sieben zu rufen, wenn meine schöpferische Phantasie ihren Höhepunkt

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