Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
strahlte übers ganze Gesicht und drückte seinem Mann die Hand.
»Oh, qu’est-ce …?«, rief in diesem Augenblick unheilverkündend der Colonel: »Wo’er Sie ’aben französische Pistol’, wenn isch darf fragen?«
»Sie stammen aus meinem Besitz«, sagte Lucia Elizabeth Abell und kam näher. »Sie sind völlig in Ordnung. Schon Emanuel Las Cases und General Gourgaud wollten sich damit duellieren, aber der Kaiser hat es ihnen verboten. Ich hoffe, das macht nichts aus.«
»Mon Dieu!«, rief der Franzose mit gut gespielter Empörung. »Dies sind ’istorische Pistol’! Nicht zu denken aus, wenn da etwas voler en éclat, une destruction.« Mit sehr entschiedener Miene klappte er das Kästchen wieder zu und verkündete: »Messieursdames, isch untersage ’iermit den Gebrauch von diese Pistol’ und requiriere sie im Nam’ Seiner Kaiserlichen Majesté Napoleon III., man versteht!« Mit einer sehenswerten Kehrtwendung drehte er sich zum Haus um, während er leise vor sich hin murmelte: »Ventresaintgris! Les Anglaises!! C’est à devénier fou!«
»Was sagt der Mann?«, fragte Hauptmann Bledsoe, dem bei all dem unverständlichen Palaver nichts Gutes schwante. Als die anderen nur die Achseln zuckten, lief er dem Colonel hinterher. »Hee, Sie! Monsieur! Mon Capitaine, warten Sie!«
Die Grande Nation und Merry old England diskutierten eine Weile auf dem Gartenweg, wobei eigenartigerweise der kühle Engländer aufgeregt gestikulierte und sein immer heißerer Atem einen Nebel vor seinem Gesicht erzeugte. Verwirrt und geschlagen kehrte Hauptmann Bledsoe dann zu der jetzt doch recht zwanglosen kleinen Gruppe zurück. »Nicht zu reden mit dem Kerl!«, sagte er wütend. »Schon gar nicht in einer vernünftigen Sprache.«
»Sie meinen, es geht nicht?«, fragte Emmeline freudestrahlend.
»Nein«, sagte der tapfere Hauptmann. »Jedenfalls nicht mit diesen ’istorische Pistol’! Wo haben Sie die bloß aufgetrieben, Mann?!«, fuhr er Van Helmont an.
»Ich muss doch sehr bitten«, wehrte sich der Arzt. »Da besorgt man extra echte Duellpistolen, damit die Herren sich in aller Form umbringen können, und was ist der Dank?«
»Meine Pistolen!«, mischte sich eine scheinbar aufs Äußerste erregte Witwe Abell in den Disput der Sekundanten. »Damit kommt er nicht durch! Ich gehe zum Gouverneur, ich schreibe ans Unterhaus! Warten Sie, in zwei, drei Jahren darf sich mit meinen Pistolen erschießen, wer immer Lust dazu hat!«
Carver räusperte sich.
»Dann also ein anderes Mal!«
»Nein!«, hielt ihn sein Sekundant flüsternd zurück. »Er hat sich entschuldigt, Sie haben die Entschuldigung angenommen. Das heißt: jetzt oder nie!«
»Aber wenn es doch jetzt nicht geht.« Emmeline schien glücklich auf ganzer Linie.
Auch ihr Held hatte seine kräftige Farbe in den letzten Minuten deutlich zurückgewonnen. Und während er noch einmal vor den Duellgesetzen strammstand, räusperte er sich erneut und sagte dann volltönend: »Meine Herren, ich erkläre Satisfaktion!«
Alle Beteiligten schüttelten sich die Hand, nur Bledsoe zögerte ein wenig. Wie schön wäre doch dieser Kampf gewesen, in der aufgehenden Sonne, vor dieser Kulisse! Als die Kutsche der Kontrahenten schon abgefahren war und Carver sein nunmehr vor ausgestandener Angst weinendes junges Weib an seiner gleichfalls nicht wenig aufgewühlten Brust beruhigte, wandte sich der Hauptmann deshalb noch einmal wütend
zum letzten Heim des großen Bonaparte zurück und schrie: »Froschfresser!«
In der Kutsche küsste Gowers seine lächelnde Retterin, ohne darauf zu achten, dass Van Helmont amüsiert zusah.
»Für die Pistolen werde ich natürlich bezahlen!«
»Nicht nötig«, sagte Lucia. »Er wollte sie schon seit Jahren für sein Museum kaufen und war froh, sie endlich zu einem vernünftigen Preis zu kriegen.«
»Aha«, sagte Gowers ernüchtert. »Ich nehme an, du hast gefeilscht?!«
»Natürlich«, erwiderte die Witwe Abell. »Ich bin Engländerin.«
101.
Das Mädchen in dem himmelblauen Kleid sah ihn zuerst überhaupt nicht oder tat jedenfalls so. Sie war ideal. Elf oder zwölf und einen Kopf größer als er, verfügte sie doch schon über alle Einbildung des gehobenen Standes.
Er sah es an der Art, wie sie in die Welt, auf die Straßen schaute. Diesen Blick hatte sie vermutlich von ihren Eltern abgeguckt, an deren Hand und in deren sicherem Dunstkreis sie bisher der großen Stadt entgegengetreten war. Allein war sie dagegen noch nicht oft ausgegangen.
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