Tod auf der Themse
wußte. Sie schrak zusammen, als eine vermummte Gestalt neben ihr
auftauchte.
»Bernicia, wie reizend,
dich hier zu sehen.«
Der Mann wartete nicht auf
eine Einladung, sondern setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl. Wie
viele Gäste hier weigerte er sich, seine Kapuze abzustreifen, aber Bernicia sah das Funkeln der
Augen in einem harten, sonnenverbrannten Gesicht. Ihr Blick fiel auf die Hände
des Fremden, wettergegerbt, aber sauber und mit kurzgeschnittenen Nägeln.
Bernicia lächelte; ein Seemann, dachte sie, vielleicht ein Kapitän
wie Roffel? Sie rückte ihren Stuhl näher an den Tisch.
»Möchtest du Wein?«
Der Fremde legte ein Silberstück
auf den Tisch. Bernicias Augen weiteten sich, und hastig füllte sie
den Becher für den unerwarteten Gast.
»Wer bist du?«
»Wir hatten einen
gemeinsamen Bekannten«, sagte der Fremde.
»Wen denn?«
»Kapitän William
Roffel, den ehemaligen Herrn über das Schiff God’s Bright
Light. Der Mistkerl verschimmelt jetzt in seinem Grab auf dem Friedhof von
St. Mary Magdalene. Du warst seine Dirne?«
»Ich war seine Freundin«,
verbesserte Bernicia verärgert.
»Nun, ich möchte,
daß du auch meine Freundin bist«, sagte der Mann. »Nimm
dieses Silberstück als Unterpfand meiner Freundschaft.«
Die Silbermünze
verschwand. Bernicia erhob keine Einwände, als die Hand des Fremden
unter den Tisch glitt und ihr Bein zu liebkosen begann.
»Woher kanntest du
Kapitän Roffel?« fragte sie. Als sie sich umschaute, sah sie
den Pagen dastehen. »Geh weg!« rief sie mit einem Schmollmund.
»Geh und bring uns noch Weißwein und einen Teller mit
Zuckerwerk für meinen Freund!«
Sie wartete, bis der Page
sich hinternwackelnd außer Hörweite begeben hatte.
»Also? Wer bist du?«
»Ich habe einmal bei
Roffel auf der God’s Bright Light gedient.«
Bernicia verbarg das Gesicht
hinter den Fingern und kicherte.
»Was erheitert dich so?«
»Bist du einer von der
Wache?«
Der Fremde lachte leise.
»Vielleicht. Ein Mann, der für tot gehalten wird, ist für
niemanden mehr eine Gefahr, vor allem nicht, wenn er ein Vermögen in
Silber besitzt.«
Bernicia fuhr sich mit der
Zunge über karmesinrot geschminkte Lippen; sie beugte sich vor und
berührte sanft die Wange des Mannes.
»Mochtest du Roffel?«
fistelte die Hure.
»Er war ein Schwein«,
antwortete der Fremde, »und er hat bekommen, was er verdient hat.
Genau wie ich. Kanntest du jemanden von seiner Mannschaft?«
Bernicia schüttelte den
Kopf. »Kapitän Roffel hat mich immer ferngehalten von dem, was
er seinen ›Beruf‹ nannte. Aber einige seiner Männer«,
fügte sie in nörgelndem Ton hinzu, »wußten wohl von
mir.« Bernicia schob sich noch ein bißchen näher. »Ich
glaube, ich habe dich schon einmal gesehen. Bist du nicht Bracklebury, der
Erste Maat?«
Der Seemann lachte. »Was
bedeutet das schon? Ich glaube, du wirst noch mehr von mir zu sehen
bekommen, wer immer ich sein mag.«
»Wieviel mehr?«
neckte Bernicia.
Der Page brachte einen neuen
Krug Wein, und der Abend nahm seinen Fortgang. Irgendwann brachen Bernicia
und ihr neugefundener Patron auf.
»Komm«, wisperte
sie, während sie durch die Gassen eilten. »Sei heute nacht mein
Gast.«
Sie erreichten Bernicias
Haus, und sie führte ihren Gast zu dem Erker, in dem auch
Athelstan und Cranston gesessen hatten. Das Feuer war entfacht, Kerzen
angezündet und Wein aufgetischt. Der Seemann nahm Mantel und Kapuze
ab und genoß die wohlige Wärme, während Bernicia ihn
unauffällig musterte; sie sah wohl die guten Stiefel mit den hohen
Absätzen, die lederne Jacke und das weiße Leinenhemd, das am
Hals offen stand. Sie berührte ihren Gürtel, in dem das Silberstück
steckte, und lächelte verstohlen.
»Wieviel hat Roffel dir
erzählt?« fragte der Seemann plötzlich.
Bernicia lachte nur. Der Mann
beugte sich vor, und seine Augen waren hart.
Ȇber seine letzte
Reise und das Silber?«
Bernicia klapperte mit den
Wimpern und schaute den Seemann kokett an.
»Ich verrate keine
Geheimnisse«, flüsterte die Hure. »Roffel ist tot. Er
kann mit seinem Silber zur Hölle fahren. Na, komm! Ich will darüber
nicht weiter reden. Noch etwas Wein?«
Bernicia erhob sich, nahm den
Becher des Seemanns und ging hinüber zu einem kleinen Tisch, um ihm
nachzuschenken. Dabei lächelte sie, fuhr aber erschrocken herum, als
sie einen Schritt hörte.
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