Tod Auf Der Warteliste
Marietta hatte offensichtlich vergessen, daß sie sauer auf ihn war. Laurenti stand auf und leinte den Hund an.
Er wollte bei einem Kaffee die Zeitung lesen. Wer in Triest informiert sein wollte, der mußte den Tag mit dem »Piccolo« beginnen. Erst dann kamen »La Repubblica« und der »Corriere della sera«. Der Aufmacher des Kulturteils war dem Zensurversuch in der Galerie der Freunde gewidmet und endete mit den Worten des Kulturreferenten, wie sie anders nicht zu erwarten waren. » Ich war es nicht, der die Vigili geschickt hat. Natürlich habe ich mir die Ausstellung angeschaut, weil mir jemand davon erzählte. Mein Urteil ist entschieden negativ. « Und dann mußte Laurenti herzhaft lachen. Zumindest eine seiner Lügengeschichten des Vortags hatte Erfolg gezeigt. Michael Jackson auf dem Karst? Nach unbestätigten Gerüchten wird der amerikanische Superstar für heute vormittag in einer Privatklinik bei Prepotto erwartet, wo ein ausgewähltes Spezialistenteam einen weiteren Versuch unternehmen wird, eine menschlicher anmutende Nase für ihn zu formen, nachdem seine bisherigen Chirurgen weitere Versuche ein für allemal ablehnten. Seit den letzten Eingriffen der amerikanischen Ärzte hat die Technik große Fortschritte gemacht. Die berühmte Klinik »La Salvia« gehört zur Avantgarde und trägt den Namen unserer Stadt in alle Welt. Aber es handelt sich bisher lediglich um ein Gerücht. Von der Questura war keine Bestätigung über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu erhalten. Die Direktion der Klinik dementierte natürlich – und das Management des Musikers lehnte eine Stellungnahme ab. Aber es ist trotzdem nicht auszuschließen, daß der Popstar mit einem Privatflugzeug in Ronchi landen und von dort mit einer Limousine mit schwarzen Fenstern nach Prepotto gebracht wird – oder daß alles nur eine Erfindung ist, um den Absatz der neuen CD des Megastars zu fördern.
»Rossana, ich liebe dich!« Laurenti lachte laut und faltete zufrieden die Zeitung zusammen.
Was für ein März! Schröder, Ypsilantis Cuza, Živa Ravno, Ramses, Corbijn – sechs Nationen, Deutschland, Holland, Malta, Schweiz, Rumänien und Kroatien. Alles leibhaftig hier in Triest. Dazu noch ein Puma auf dem Karst, der nach Belieben und ohne Paß die Grenze überschritt. Und jetzt auch noch ein falscher Michael Jackson. Ein Irrenhaus.
Laurenti kam gerade rechtzeitig in die Questura zurück. Den Rücken des Mannes, der die linke Treppe mit dem roten Teppich hinaufging, erkannte er sofort. Er konnte sich also auf einiges gefaßt machen. Das war der Weg zum Chef, und Rechtsanwalt Romani mußte einen Termin haben, denn sonst wurde niemand dort durchgelassen. Laurenti nahm die andere Treppe und rannte sie so schnell hinauf, daß der hinkende Cluzot dachte, er wolle spielen, und immer wieder nach dem losen Ende der Leine schnappte.
»Marietta«, sagte Laurenti atemlos. »Bitte paß auf den Hund auf, Romani ist zum Chef unterwegs. Ich will ihn dort abpassen.«
Seine Assistentin protestierte diesmal nicht. Sie kannte diesen Gesichtsausdruck Laurentis gut genug. Es mußte etwas Ernstes im Gange sein.
Das Vorzimmer war leer. Laurenti klopfte kurz an die Tür des Questore und öffnete sie, ohne auf ein Zeichen zu warten.
»Das trifft sich gut«, sagte er, ohne zu grüßen. Romani schaute ihn erstaunt an. »Der Rechtsanwalt höchstpersönlich. Haben Sie eine neue Beschwerde gegen mich? Es wäre besser, Sie redeten direkt mit mir.«
»Was ist los, Laurenti?« fragte der Chef. »Sie platzen einfach so in eine Besprechung herein.«
»Ich denke, es ist an der Zeit, ein paar Dinge zu klären. Unter Zeugen. Ich schlafe seit zwei Tagen ziemlich schlecht. Sie können mir sicher helfen.«
Der Questore hatte Mühe, das Zucken seiner Mundwinkel im Zaum zu halten. Er konnte sich bereits denken, worauf Laurenti hinauswollte, und ließ ihn gewähren, während Romani deutlich Mühe hatte, die aufsteigende Wut zu zügeln. Sein Kopf verfärbte sich krebsrot.
»Einer der Gründe sitzt hier. Nein, Ihre Strafzettel interessieren mich nicht, Rechtsanwalt, auch wenn man Ihnen längst hätte den Führerschein abnehmen müssen.« Erst einmal provozieren und auf den schwachen Punkten herumreiten, den Gegner zum Kochen bringen. Manchmal half das, um aus ungleichen Machtsituationen ein brüchiges Gleichgewicht zu schaffen. »Aber ich mache jede Wette, daß Sie dann im Handumdrehen einen neuen vorzeigen würden, einen kroatischen zum Beispiel. Von der Führerscheinstelle
Weitere Kostenlose Bücher