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Tod Auf Der Warteliste

Tod Auf Der Warteliste

Titel: Tod Auf Der Warteliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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wieviel Verkehr ist.«
     
    *
     
     
    Auch wenn es ihm schwerfiel, er mußte raus. Ramses gähnte lange. Er hatte wenig und schlecht geschlafen. Silvia hatte sich tief unter der schweren Bettdecke verkrochen, und außer einem wirren Wisch blonder Haare auf dem Kissen war nichts von ihr zu sehen. Leise stand er auf, nahm ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank und zog leise die Schlafzimmertür hinter sich ins Schloß. Nach einer langen, heißen Dusche fühlte er sich besser. Er machte Kaffee und überlegte, was zu tun war. Seit dieser Nacht stand viel auf dem Spiel.
     
    Silvia hatte ihn gegen halb vier angerufen und darum gebeten, daß er sie in der Stadt abholte. Sie sagte, sie warte vor dem Polizeipräsidium auf ihn, das sie soeben nach einer fast zweistündigen Warterei und der anschließenden Aufnahme ihrer Personalien verlassen hatte. Um halb zwei hatten sie an die Tür ihres Wohnmobils geklopft. Die Ordnungsbehörden Triests hatten es wieder einmal für nötig befunden, die bescheidene Rotlichtszene der Stadt zu durchleuchten, die sich mit dem frühlingshaften Wetter spürbar belebt hatte. Es war nichts als Schikane, denn die Straßenprostitution beschränkte sich im wesentlichen auf einige überschaubare Kreuzungen im Borgo Teresiano, die von ein paar Nigerianerinnen und Kolumbianerinnen besetzt waren. Triest brachte keine große Ausbeute für die Organisation, die diesen Teil des europäischen Menschenhandels in der Hand hielt. Die Bordelle jenseits der Grenze wurden bevorzugt, und die Stadt war mehr Abschiebebahnhof als Markt. Bei jeder Razzia wurden Frauen ohne Aufenthaltsbewilligung aufgegriffen, obwohl die Drahtzieher über alle Mittel verfügten, um dies zu vermeiden. Die Behörden wußten, daß es für die Organisation der bequemste Weg war, die Frauen, wenn sie ausgedient hatten, auf Staatskosten loszuwerden. Aber man hatte auch Silvias Ich-AG im Visier. Wie jedes Jahr. Und mit dem Resultat, daß sie als Österreicherin ihren beschlagnahmten mobilen Arbeitsplatz nach einigen Tagen zurückbekommen würde. Nicht umsonst war das Fahrzeug auf ihre zweiundneunzigjährige Großmutter zugelassen.
    Silvia rauchte hektisch auf dem Beifahrersitz des Peugeot und erzählte in abgehackten Sätzen, was passiert war. Sie hatte viele Klienten gehabt an diesem Abend, das Geschäft lief gut und war erst zu Ende, als ihr Camper plötzlich von drei Polizeiautos eingekreist wurde. Ihrem Kunden hatte man gerade noch Zeit gelassen, seine Hosen anzuziehen, und ihn dann zur Feststellung seiner Personalien in einen der Streifenwagen verfrachtet. Dann begann das übliche Procedere. Natürlich kannte man sich. Die Beamten begrüßten sie sogar mit ihrem richtigen Namen. Doch besannen sie sich rasch auf den Befehl des Einsatzleiters, der alle bürokratischen Lästigkeiten verordnet hatte. Sie zeigte Ramses ihre von der Stempelfarbe schwarzen Fingerkuppen und meinte, es sei jetzt schon das fünfte Mal, daß man ihr die Abdrücke abnahm.
    »Wo ist das Paket, das ich dir gegeben habe?« fragte Ramses.
    »Unter dem Fahrersitz ist ein Stauraum.«
    »Können sie es da finden?«
    Silvia hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Sie finden immer alles, wenn sie wollen. Außer meiner Handtasche durfte ich nichts mitnehmen. Nicht einmal Klamotten. Schau mich mal an.«
    In der Tat nahm die Menge an Textil, das sie aufs spärlichste bedeckte, weniger als einen halben Quadratmeter ein. Tanga, BH, der die Brustwarzen aussparte, und ein Jäckchen, das kaum diesen Namen verdient hatte, alles aus rotem Leder. Für die roten Stiefel, die ihr bis über die Oberschenkel reichten, brauchte es vermutlich mehr Material. Und so bekleidet hatte sie eine halbe Stunde direkt vor der Questura auf ihn gewartet, als wäre dort der Straßenstrich.
    Ramses schwieg und stellte den Wagen auf dem Parkplatz an der Costiera ab.
    »Wo sind deine Bewacher?« fragte Silvia.
    »Sie sind weg.« Er starrte übers Lenkrad in die Nacht.
    »Es tut mir leid wegen des Pakets. Ist es sehr schlimm?«
    »Es ist nicht deine Schuld«, sagte er und schloß den Wagen ab. Es hatte keinen Sinn, darüber zu streiten. Er würde später überlegen, was er tun mußte.
    »Es tut mir leid«, sagte Silvia.
    »Wir sehen morgen weiter. Komm jetzt. Du mußt etwas anziehen, sonst erkältest du dich.«
    Schweigend waren sie zu seinem Haus hinaufgegangen.
     
    Es war kurz vor sechs, als Ramses zur Straße hinunterging. Als er seinen Nachbarn mit dem schwarzen Hund zum Wagen gehen sah, wartete er

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