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Tod Auf Der Warteliste

Tod Auf Der Warteliste

Titel: Tod Auf Der Warteliste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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frei«, sagte der Mann aus Rom.
     
    Als Laurenti gerade aufgelegt hatte, klingelte sein Mobiltelefon. Es war Marco, der Galerist.
    »Weißt du, was passiert ist? Wir hatten Besuch von den Vigili urbani!« Marcos Stimme klang rauh. Nach der Vernissage hatte er gewiß eine noch kürzere Nacht hinter sich als die Laurentis.
    »Was wollten sie?«
    »Daß wir die Bilder abhängen! Sie behaupten, es sei Pornographie. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Wo bist du jetzt?«
    »Was denkst du wohl, wo ich bin? In der Galerie natürlich. Ich wollte dich fragen, ob du herausfinden kannst, wer uns diese Typen auf den Hals gehetzt hat.«
    »In ein paar Minuten bin ich da, wollte sowieso den Hund ausführen.«
    Laurenti legte auf, leinte Cluzot an und steckte die Plastiksäckchen in die Jackentasche.
    »Marietta, bitte frag mal unauffällig nach, wer die Vigili zu LipanjePuntin geschickt hat. Absolut unauffällig bitte!«
    »Und weshalb?«
    »Das weiß ich auch noch nicht. Ich gehe mal eben dort vorbei.«
    »Ich finde, das ist keine Kunst, was die da ausstellen.«
    »Seit wann hast du auch noch dazu eine Meinung? Ich habe jetzt keine Zeit für solche Diskussionen. Ruf mich an, sobald du etwas weißt.«
    »Bitte!« Sie warf ihm einen haßerfüllten Blick zu.
     
    *
     
     
    Etwas in der Stadt hatte sich seit den letzten Wahlen im vergangenen Juni verändert. Der extremen Rechten war es gelungen, sich einige Schlüsselfunktionen in der Stadtverwaltung unter den Nagel zu reißen und lebte nun den Wahlsieg rachsüchtig aus. Dabei scheute sie selbst vor Lügen nicht zurück. Lange sprach man von einem desaströsen Loch in der Bilanz, das der letzte Bürgermeister hinterlassen habe, und kaschierte damit den eigenen Dilettantismus, bis ein internationales Wirtschaftsprüfungsunternehmen das Gegenteil bescheinigte. Die einzige klare Strategie schien man in der Kulturpolitik zu haben. Die Maßnahmen folgten Schlag auf Schlag: Einerseits wurden Kongresse rechtsextremer Vereinigungen bezuschußt und mit dem Logo der Stadtverwaltung verziert, andererseits der Werkschau des Magnum-Fotografen Robert Capa in den Ausstellungsräumen von Schloß Miramare die Unterstützung entzogen. Besonders originell war das Ansinnen, die Statue des Giuglielmo Oberdan, der 1882 ein Attentat gegen den österreichischen Kaiser geplant hatte und dafür wegen Hochverrat gehenkt wurde, von ihrem bisherigen Standort auf die gleichnamige Piazza zu versetzen, worauf sogleich Stimmen zu hören waren, die höhnisch eine Gondel für die Piazza Venezia verlangten. Bitter war die Entscheidung, den 25. April, den Gedenktag der Befreiung von Faschismus und Nationalsozialismus, »allen Toten« zu widmen, also auch den faschistischen Mördern. Die Grenzen der Gesetze wurden bewußt ausgetestet, indem man unter anderem die festgeschriebene Zweisprachigkeit im Umland außer Kraft zu setzen versuchte. Nur revisionistische Unverfrorenheiten, aber kein Weitblick, um die Stadt in ihrer Schlüsselrolle als Tor zum Osten weiterzubringen.
    Das Entsetzen war groß, aber die neuen Herren machten unbeeindruckt weiter. Zuletzt gab es eine Initiative zur Bewaffnung der Stadtpolizei und den Vorschlag, Zeitschriften mit angeblich zu freizügigen Titelbildern von den Kiosken zu verbannen. Und einer der Scharfmacher forderte die Stripperinnen eines neuen Nachtclubs öffentlich auf, sich zu verheiraten, statt sich auszuziehen: »Sposatevi, non spogliatevi!« lautete sein Aufruf, über den fast alle außer ihm ungläubig lachten. Die Stadt machte negative Schlagzeilen, doch den Herrschaften im Rathaus schien das recht zu sein, und die Opposition taugte auch nicht viel.
    Als Proteo Laurenti mit seinem Hund die Galerie betrat, hielt Marco keinen der Flüche zurück, die er in den vierzig Jahren seines Lebens gelernt hatte. Was war eigentlich passiert?
    »Zunächst kam der Kulturreferent. Ich traute meinen Augen nicht. Der, hier bei uns? Er schaute sich um und blieb keine zwanzig Sekunden. Im Hinausgehen hatte er sein Telefon in der Hand. Später kamen zwei Vigili und baten darum, wegen einer Beschwerde aus der Bevölkerung eines der Bilder umzuhängen, das man durch die Glastür zur Straße sieht. Ich war zwar verblüfft, aber weil sie sehr freundlich waren, kam ich ihnen entgegen. Etwas später standen sie wieder da und verlangten, daß wir die Schaufenster verhängten. Ich verweigerte das natürlich. Diese Ausstellung geht danach nach Paris und Taipeh. Wo leben wir eigentlich? Ich will wissen, von

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