Tod Auf Der Warteliste
verstehen, als er gehofft hatte. Aber er mußte langsam sprechen, und beide bedienten sich wie die türkischen LKW-Fahrer am MoloV eines Mischmaschs aus den ihnen bekannten Sprachen.
Laurenti machte sich Notizen und schaute sie, nachdem er aufgelegt hatte, nachdenklich an. Dann schrieb er noch Datum und Uhrzeit auf das Blatt.
Als er aufschaute, sah er Sgubin auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch sitzen. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, daß er hereingekommen war.
»Was willst du hier?«
»Du hast doch gesagt, daß du mit mir reden wolltest.«
»Ach so, ja. Ich war vorhin mit dem Chef zum Mittagessen.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Wenn wir nur ebensogut über die Dinge draußen Bescheid wüßten wie über die Interna!« Laurenti schnitt eine verächtliche Grimasse. »Ich werde dir bei den Ermittlungen im Fall Lestizza helfen.«
Eigentlich war Sgubin froh darüber, die Verantwortung loszuwerden. Aber der Tonfall seines Chefs irritierte ihn. »Weshalb?« fragte er.
»Es ist zuviel für dich alleine. Ich habe sonst nicht allzuviel zu tun.«
»Was ist mit dem Rumänen?«
»Ebendeshalb. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang.«
»Und wie willst du vorgehen?«
»Wir fahren hoch in die Klinik. Mit dem Blaulicht auf dem Dach.«
*
Das Poltern, das er alle zwanzig Minuten von der anderen Seite der hohen Mauer vernahm, kam von einem Kabel, das die beiden Züge der Tram di Op’cina miteinander verband, um an diesem steilen Stück die Kraft der abwährts fahrenden Wagen für die der Gegenrichtung zu nutzen. Als die Linie vor hundert Jahren eingeweiht wurde, war der Hang noch nahezu unbebaut, aber bald errichteten betuchte Triestiner ihre herrschaftlichen Villen in der Via Virgilio und der Via di Romagna. Für die Anwohner ist das Geräusch des Kabels zur Normalität geworden. Sie bemerken nur noch, wenn die Trambahn aus irgendeinem Grund länger nicht fährt. Dann irritiert die Stille.
Dimitrescu wußte nicht, woher der Lärm stammte. Letzte Nacht, es war von Dienstag auf Mittwoch, hatte ihn eine Frau vom Lagerplatz der Spedition, wo man ihn aus dem Sattelschlepper holte, in einer langen Fahrt an einen anderen Ort gebracht. Die Frau rauchte eine Zigarette nach der anderen, während der Wagen auf der Autobahn kaum einmal die Grenze von hundert Stundenkilometern überschritt und sie immer wieder von großen Lastzügen überholt wurden. Als sie auf Dimitrescus wiederholte Versuche, mit ihr zu sprechen, nicht reagierte, beschränkte auch er sich aufs Rauchen. Einmal mußte er pinkeln. Die Alte schimpfte und wollte nicht anhalten. Doch schließlich bremste sie den Wagen auf einem abgelegenen Parkplatz. »Beeil dich«, sagte sie und sah ihm im Rückspiegel beim Pissen zu.
Sie hatte die Autobahn über den Karst genommen, um nach Triest zu kommen. Er sah die Lichter der Stadt weit unten liegen. Sie bogen in die steil abfallende Via Commerciale und danach in eine noch kleinere Seitenstraße, die Via Ovidio, ab. Der Wagen schaukelte heftig, als sie langsam über Gleise fuhren. Kurz darauf hielten sie an.
»Bleib sitzen«, sagte die Alte und stieg aus. Sie ging zu einem Haus aus roten Backsteinen und klingelte an der mit hellem Karststein eingefaßten Tür. Licht ging an, und Dimitrescu hörte einen kurzen Wortwechsel. Dann wurde die Autotür geöffnet und ein kurzes »Komm, rasch« befahl ihm, ihr zu folgen. Sie gingen an der hohen Backsteinmauer entlang, die das Grundstück umgab, und durch einen Seiteneingang in den Garten. Dimitrescu sah Licht in den oberen Stockwerken der Villa, als er ihr die schlechtbeleuchtete Treppe hinunter folgte, bis sie am Fuß des Hauses standen. Die Alte tastete eine Weile im Dunkeln, bis sie den Lichtschalter gefunden hatte, dann stieß sie eine Tür auf und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, wie einem Tier, das man in den Stall trieb. Es war ein weißgetünchter Raum, der nach Feuchtigkeit roch, obwohl er von einem Elektrolüfter beheizt wurde. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Feldbett und eine Tür, die in ein kleines Bad führte, über dessen Dusche dicke Spinnweben hingen.
Die Alte hielt ihm ihre Hand mit abgespreiztem Daumen, Zeige- und Mittelfinger vor die Nase. »Drei Tage«, sagte sie. »Du mußt drei Tage warten. Hier. Verstanden?«
Dimitrescu nickte. Er hatte keine Fragen. Nur Hunger und Durst, außerdem war er müde.
»Essen, mangiare?« fragte er.
»Kommt schon«, sagte die Alte unwirsch und ging hinaus. Die Tür klemmte ein bißchen, als sie sie ins
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