Tod Auf Der Warteliste
frei bewegen konnte, um die Details zu planen.
Dimitrescu brauchte Zeit, und er mußte sich ungehindert umschauen können. Wenn er nicht anders herauskam, müßte er Gewalt gebrauchen. Die beiden Männer vor der Tür könnten ihn kaum daran hindern. Dimitrescu wollte die Ärzte ausschalten, die seinen Bruder auf dem Gewissen hatten, und mit beiden Nieren wieder zurück nach Hause, mit dem Geld, das er im voraus fordern wollte. Der Operation würde er sich auf keinen Fall unterziehen.
Er hatte gerade den letzten Bissen zu sich genommen, als ein Arzt im weißen Kittel und mit einem Stethoskop um den Hals hereinkam. Er ließ die Tür offenstehen. Der Flur war leer. Der Mann ging freundlich lächelnd auf ihn zu und gab ihm sogar die Hand. Dimitrescu erwiderte skeptisch den Gruß, blieb aber sitzen. Der Arzt ließ sich in den anderen Sessel fallen und redete ununterbrochen auf ihn ein. Anfangs hatte Dimitrescu Mühe, ihn zu verstehen.
»Wie war das Essen? Keines der Gerichte, die man üblicherweise in Krankenhäusern bekommt, nicht wahr? Wir legen Wert auf Qualität. Endlich lerne ich Sie kennen.«
Dimitrescu nickte zurückhaltend.
»Sie sind ein mutiger Mann, mein Freund. Aber ich sage Ihnen, Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Sie helfen einem anderen, und Ihnen wird auch geholfen. Haben Sie keine Angst, bei uns sind Sie in guten Händen.« Er machte eine ausschweifende Handbewegung. »Wir sind eine der modernsten Kliniken, die es gibt. Sie werden sehen. Wenn Sie wollen, dann zeige ich Ihnen alles. Wir machen nachher einen Spaziergang zu den Pferden.« Er schaute auf einen Zettel, den er aus der Tasche zog. »Wie heißen Sie? Vasile? Darf ich Vasile zu Ihnen sagen? Ich bin Professor Ottaviano Severino. Mir gehört diese Klinik. Ich bin der Chefarzt. Wie Sie sehen, kümmere ich mich um jeden einzelnen Patienten persönlich.«
Dimitrescu gefror fast das Blut in den Adern, als er den Namen seines Bruders aus dem Mund des Arztes hörte. Es war unmöglich, daß er seinen Namen nicht kannte, denn er hatte genau gehört, wie die beiden schwergewichtigen Sanitäter bei seiner Einlieferung sagten: »Wir bringen diesen Dimitrescu.« Und jetzt nannte der Arzt ihn Vasile. Es gab keinen Zweifel mehr, daß er am richtigen Ort war.
»Bevor wir losgehen«, plapperte Severino weiter, »will ich Sie kurz abhören. Machen Sie doch bitte den Oberkörper frei.«
Dimitrescu stand auf und zog Pullover und Hemd aus. Der Arzt legte das kalte Metall des Stethoskops an verschiedene Punkte von Brust und Rücken und forderte Dimitrescu auf zu husten. Dann sollte er sich wieder anziehen. Schließlich strich er ihm das Haar am Hinterkopf hoch und schaute die Verletzung an.
»Das ist nichts Schlimmes, mein Freund. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man Sie schlecht behandelt hat. Aber glauben Sie mir, es wird alles wiedergutgemacht werden. Und Sie bekommen Ihre Dollars. Lassen Sie mich bitte noch den Puls fühlen.« Severino lächelte breit, schaute auf die Zeiger seiner goldenen Armbanduhr und griff nach Dimitrescus linker Hand.
»Sehr gut! Sie sind ein kerngesunder junger Mann in hervorragender körperlicher Verfassung. Durchtrainiert, wie Sie sind, kann Ihnen überhaupt nichts passieren.« Schließlich gab er Dimitrescu noch einen Klaps auf die Schulter und stand auf.
»Kommen Sie. Ich zeige Ihnen die Klinik und die Pferde. Sie werden begeistert sein. Und wenn wir am Labor vorbeikommen, nehme ich Ihnen noch zwei Tropfen Blut ab. Keine Sorge, das tut nicht weh.«
Dimitrescu stand auf und folgte ihm, als Severino winkte. Sie gingen den Flur entlang und dann die Treppe hinunter. Zwei Schwestern, die ihnen entgegenkamen, grüßten freundlich. Severino plauderte ohne Unterbrechung weiter und legte ihm in dem weitläufigen Park, in dem er den betörenden Frühlingsduft schnupperte, freundschaftlich den Arm um die Schultern. Sie gingen einen mit weißem Kies belegten Weg entlang, der weit von den Klinikgebäuden wegführte.
»Wir sind hier auf dem Karst, ganz in der Nähe der Stadt. Kennen Sie Triest und sein Umland?«
»Nein.« Dimitrescu schüttelte den Kopf.
»Das ist ein Fehler. Glauben Sie mir.«
»Wir haben kein Geld für Reisen. Wir sind arm.«
»Ja, das glaube ich. Vielleicht könnten Sie eine Arbeit hier finden. Was meinen Sie? Das würde Ihnen doch helfen.«
»Sicher.« Dimitrescu glaubte ihm kein Wort und schwieg wieder. Er bereute, daß er zuvor geantwortet hatte. Er mußte auf der Hut bleiben und beobachten
Weitere Kostenlose Bücher