Tod Auf Der Warteliste
und durfte sich nicht von der überzogenen Freundlichkeit dieses Mann narkotisieren lassen.
»Mögen Sie Pferde, Vasile?« Sie näherten sich den Stallungen, die vor einem Wäldchen lagen.
»Warum nicht.«
»Das ist Tulipana.« Der Arzt klopfte einer kleinen Schimmelstute auf den Hals.
»Warum heißt sie so, Professor?«
»Sagen Sie Ottaviano zu mir. Vielleicht könnten Sie nach der Operation bei uns arbeiten. Hier mit den Pferden. Ein regelmäßiges Einkommen. Überlegen Sie es sich.«
»Wieviel?«
»Sechshundert Euro im Monat und freie Unterkunft und Essen. Davon wird man zwar nicht reich, aber die Arbeit ist nicht besonders anstrengend. Und Ihre Familie kann nachkommen. Sie haben doch Familie?«
Einen Augenblick lang zweifelte Dimitrescu daran, ob dieser Mann wirklich so böse war, wie er dachte. Das Monatsgehalt entsprach einem Jahresverdienst zu Hause. Aber dann stieß ihm auf, daß der Arzt ihn wieder mit dem Namen seines Bruders angesprochen hatte.
»Sie sind ein tüchtiger Mann, das sieht man auf den ersten Blick. Wieviel verdienen Sie zu Hause?«
»Weniger.«
»Kommen Sie, fahren wir ein bißchen herum. Ich will Ihnen die Gegend zeigen und die Stadt. Damit Sie wissen, wo Sie sind. Das macht Ihnen die Entscheidung leichter.« Severino klopfte ihm, wie vorher dem Pferd, auf die Schulter.
»Das Geld?« Dimitrescu blieb stehen. »Ich will das Geld vorher.«
Severino schaute ihn lange an und kratzte sich am Kopf. »Normalerweise bekommt man es danach.«
»Ich will es vorher.«
»Sie vertrauen mir nicht! Gut, ich werde mit meiner Frau spechen. Das ist ihre Aufgabe. Sie sitzt auf der Kasse.«
»Vorher!«
»Machen wir es so: ein Teil vorher, der andere nachher. Einverstanden?«
Dimitrescu antwortete nicht.
»Kommen Sie schon, Vasile. Das ist ein guter Kompromiß. Jetzt zeige ich Ihnen die Gegend.«
Sie stiegen in einen silbergrauen, schweren BMW, und Severino bat ihn, sich anzuschnallen.
Als sie nach Prepotto fuhren, dem idyllischen, kleinen Ort in der Nähe, erzählte Severino von den vier Winzern und ihren Weinen. Dimitrescu ließ ihn reden. Sein Blick schweifte über die Landschaft, am Horizont sah er wieder das in der Sonne gleißende Meer. Die Geschichte dieser Gegend interessierte ihn nicht. Aber er achtete auf die Straße und prägte sich jeden Kilometer ein, den sie fuhren. Vor allem die Küstenstraße, über die sie sich der Stadt näherten. Er wußte nicht, daß hier sein Bruder in den Wagen des deutschen Bundeskanzlers gelaufen war, aber er spürte eine merkwürdige Nervosität, als sie die Stelle passierten.
»Und das hier ist der Hafen«, sagte Severino, als sie die Rive entlangfuhren. »Er war einmal bedeutender als Genua oder Hamburg und Rotterdam. Heute könnte es theoretisch wieder vorwärtsgehen. Aber die Hafenverwaltung funktioniert nicht gut. Dort vorne sehen Sie die Verladung in die Türkei.«
»Halten Sie!« Dimitrescu sah endlich im hellen Sonnenschein, wo er angekommen sein mußte, versteckt im Auflieger eines Sattelschleppers. Der Platz um den Campo Marzio war voller LKWs. Manche Zugmaschinen standen ohne Auflieger da. Die Fahrer warteten darauf, daß ihre Fracht mit der nächsten Fähre eintraf.
Severino fuhr rechts ran, und Dimitrescu stieg aus.
»Ja, das ist spannend«, sagte der Arzt, nur um etwas zu sagen. »Machen wir ein paar Schritte.«
Sie gingen an den Fahrzeugen vorbei bis zur Einfahrt ins Zollgelände. Dimitrescu achtete nicht auf das Geplapper Severinos.
»Gleich dort hinten beginnt schon Slowenien, und ein paar Kilometer weiter kommt dann Kroatien.« Als sie etwas später über die vierspurige Schnellstraße am neuen Hafen entlangfuhren, zeigte Severino über das Hafenbecken am Molo VII. »Und da unten ist die Griechenland-Verbindung. Ich muß ganz kurz einen Abstecher auf den Friedhof machen.«
Dimitrescu fuhr zusammen und umklammerte mit der rechten Hand den Türgriff, daß die Knöchel weiß wurden. Cimitero!
»Ein Verwandter meiner Frau ist gestorben, die Beerdigung ist am Samstag morgen. Wir begehen sie im kleinen Kreis, nur die Kollegen aus der Klinik. Er wollte es so. Ich muß nur noch ein paar Formalitäten erledigen.« Er hielt auf einem Parkplatz, und Dimitrescu sah die Stände der Blumenverkäuferinnen, die in einem großen Halbkreis vor dem Eingang aufgebaut waren und auf denen Frauennamen in bunten Schriftzügen standen: Annalisa, Rosalba, Nevia, Cristina, Veronica – ansonsten sahen sie alle gleich aus, und auch das Angebot an Blumen
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