Tod Auf Der Warteliste
schien sich auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden.
»Wenn Sie wollen, dann kommen Sie kurz mit, Vasile. Sie können aber auch hier warten. Es dauert nicht lang.«
Dimitrescu stieg aus und schaute sich um. Er wollte beim Wagen bleiben und bat den Arzt um eine Zigarette. Severino gab ihm die Packung und ein Feuerzeug. Den BMW ließ er unverschlossen. »Ich komme gleich wieder. Passen Sie bitte auf das Auto auf«, sagte er und verschwand in einem niedrigen Gebäude neben dem Eingang.
Wieder hatte er ihn Vasile genannt. Doch Dimitrescu fragte sich, weshalb er ihn hier zurückließ. Er hätte sich jederzeit aus dem Staub machen können, und wie er während der Fahrt gesehen hatte, war die Stadt groß genug, um sich zu verstecken. Er zündete sich eine Zigarette an und ging durch den Haupteingang auf den riesigen Friedhof. Er hielt sich auf der asphaltierten Straße, die die Gräberfelder durchschnitt, und betrachtete die üppigen Grabmonumente. Einmal mußte er zur Seite treten, weil ein Leichenwagen mit einem blumengeschmückten Sarg vorbeifuhr, dem die Trauergemeinde folgte, die er zuvor am Tor gesehen hatte. Er ging ihnen mit ein paar Schritten Abstand hinterher, bis die Leute in eine der Friedhofskapellen strömten, hinter den Säulenhallen, in dem einst die reichen Triestiner ihre Familiengruft hatten. Dimitrescu ging den Weg weiter und durchquerte den Zentralfriedhof. Er steckte sich schon die dritte Zigarette an und las die Namen auf den Grabsteinen, an denen er vorbeikam. Er wunderte sich über das Sprachgemisch. Italienische, deutsche, ungarische Familiennamen, spanische und griechische, slowenische, kroatische und englische. Dimitrescu hatte die Orientierung verloren und schaute sich um. Er mußte zum Wagen zurück, der Professor wartete sicher schon auf ihn. Er ging quer durch die Grabreihen und blieb stehen, als er an der Abteilung der Urnengräber vorbeikam. Ein Fach neben dem anderen, in denen die weniger vermögenden oder die knausrigen Familien ihre Angehörigen bestatten ließen. Dimitrescu ließ seinen Blick über die Namen schweifen und suchte nach frischen Urnengräbern. Dann hörte er den Professor rufen. Schnell wandte er sich ab und hoffte, nicht bemerkt worden zu sein. Rasch ging er durch die Grabreihen zum Ausgang und wartete dort. Severino kam kurz darauf keuchend und aufgeregt zurück und hatte offensichtlich Mühe, sich zu beherrschen.
»Wo warst du?« Die Schärfe in seiner Stimme wich einem Lächeln, das er sich ins Gesicht zwang. »Hast dir den Friedhof angesehen? Ja, Sie haben recht. Das ist spannend. An den Inschriften der Grabsteine erkennt man, daß die Stadt durch Einwanderer aus ganz Europa groß wurde. Gibst du mir bitte die Zigaretten zurück? Ich kaufe Ihnen nachher eine Packung.« Nach drei nervösen Zügen wurde Severino ruhiger und stieg in den Wagen. »Die Dokumente waren auch noch nicht fertig, verdammt. Ich muß morgen noch einmal herkommen. Haben Sie Lust auf einen Kaffee, bevor wir nach Hause fahren, Vasile?«
*
»Stell dir vor, ich habe Ramses in Begleitung einer blonden Dame gesehen«, sagte Laura. »Angeblich eine Cousine seiner Frau. Aber ich habe nicht mit ihr gesprochen, sie saß schon im Wagen, als ich auf den Parkplatz kam. Wie war’s bei dir?«
Proteo Laurenti nahm seine Frau in den Arm und vergrub sein Gesicht in ihrem dichten blonden Haar. »Alles Scheiße«, sagte er. »Man versucht mich abzuschießen. Morgen früh um acht muß ich bei den Carabinieri in Barcola vortanzen. Man hat extra jemanden von außerhalb kommen lassen. Romani hat mich angeschwärzt. Wir könnten uns angeblich das Haus nur leisten, weil ich schmutzige Geschäfte nebenher mache oder mich bestechen lasse. Lauter Verleumdungen. Man will mich ausschalten, und wenn mich nicht alles täuscht, steckt die Klinik auf dem Karst dahinter.«
»Wegen des Entmannten?«
»Damit begann es. Sie verfügen über einflußreiche Kontakte. Man will nicht, daß die prominente Klientel von ›La Salvia‹ durch die Polizei irritiert wird. Bedeutende Steuerzahler und all der Kram, den man sich ausdenken kann.« Proteo ließ sich auf das Sofa sinken und streifte die Schuhe ab. »Ich habe die Schnauze gestrichen voll. Bis hier.« Er machte die entsprechende Geste und streckte seine Hand nach Laura aus.
»Ich bringe dir etwas zu trinken, dann erzählst du mir alles«, sagte sie und kam kurz darauf mit zwei Gläsern Jack Daniels zurück. Sie setzte sich zu ihm und strich ihm durchs
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