Tod Auf Der Warteliste
angekommen, und Severino rief nach dem Pfleger.
»Genießen Sie die frische Luft, es ist ein herrlicher Nachmittag. Helfen Sie dem Pfleger, aber strengen Sie sich nicht zu sehr an. Sie können auch reiten, wenn Sie wollen. Aber immer vorsichtig. Wichtig ist, daß Sie herausfinden, ob Ihnen die Arbeit gefällt. Es wäre eine gute Chance für Sie.«
»Warum tun Sie das?«
»Sie sind mir sympathisch. Deshalb. Ich helfe gerne Menschen, die mir sympathisch sind.«
Am vergangenen Nachmittag hatte Severino ihm auf der Rückfahrt einen Kaffee im »Pettirosso« spendiert, bevor sie die letzten Kilometer zur Klinik zurückfuhren. Er hatte sich nach seinem Wutanfall auf dem Friedhof schnell wieder beruhigt und die Form wiedergefunden. Dimitrescu wurde sogar dem Wirt vorgestellt, als neuer Mitarbeiter, der sich um die Pferde kümmern würde. Als Emiliano ein Glas Wein spendieren wollte, schob Severino es entschieden zurück. »Danke, aber dazu ist es noch zu früh«, sagte er, bevor Dimitrescu danach greifen konnte.
»Sie können sich frei bewegen, Vasile«, sagte Severino. »Aber beachten Sie, daß manche Zonen nur den Patienten zugänglich sind. Die Bungalows sind Privatgelände. Lassen Sie die Menschen dort alleine, sie brauchen Ruhe. Das gleiche gilt für den Operationstrakt. Bleiben Sie in der Nähe der Stallungen. Der Pferdepfleger kümmert sich um Sie.«
Dimitrescu half beim Ausmisten und ließ sich zeigen, wie man die Pferde striegelte, bis ihr Fell glänzte, die Hufe auskratzte und fettete. Es waren ruhige Tiere, die alles gleichmütig mit sich geschehen ließen. Die Arbeit war relativ schnell getan. Weshalb es für vier Pferde zwei Pfleger brauchte, verstand Dimitrescu nicht, doch wollte er den wortkargen Kollegen auf Zeit nicht danach fragen.
Nach der Arbeit bat Dimitrescu darum, auf einem der Pferde reiten zu dürfen. Es war das erste Mal in seinem Leben. Der Pfleger half ihm aufsitzen und gab dann dem Tier einen sanften Klaps. Es könne ihm nichts passieren, sagte der Stallbursche, das Pferd sei lammfromm. Sie entfernten sich im Schritt, Dimitrescu klammerte sich an der Mähne fest. Das Pferd kannte seinen Weg und kümmerte sich nicht weiter um den neuen Reiter. Nach fünf Minuten erreichten sie einen hohen Zaun, der das Gelände abschloß und an dem ein Pfad ausgetretener Hufspuren entlangführte. In einem kleinen Eichenwäldchen sah er eine notdürftig reparierte Stelle im Zaun. Dimitrescu fragte sich, ob Vasile hätte entkommen können, wenn er von diesem Loch gewußt hätte. Er begriff einfach nicht, weshalb der Arzt sich so freundlich um ihn kümmerte. Er war wegen eines Geschäfts hier. Ein chirurgischer Eingriff gegen Geld. Es war undenkbar, daß man sich um alle Spender so kümmerte wie um ihn. Der Rückweg führte an einem Hundezwinger vorbei, aus dem heraus eine weiße argentische Dogge und ein junger Labrador ihn mißtrauisch beäugten. Als das Pferd den Weg zurück zu den Stallungen nehmen wollte, lenkte Dimitrescu das Tier zu dem Verwaltungstrakt. Der Professor hatte es ihm nicht verboten. Dimitrescu sah aus der Ferne, daß ein Auto vor dem Haupteingang hielt, aus dem ein großer Mann mit Sonnenbrille und einer schweren Lederjacke, deren Kragen er trotz des schönen Wetters hochgeschlagen hatte, ausstieg und vom Fahrer ins Haus geführt wurde. Dann hörte er den Pferdepfleger rufen. Er drehte um und näherte sich den Stallungen. Das Tier beschleunigte seinen Schritt.
»Nicht dorthin. Die Pferde dürfen dort nicht hin.« Der Pfleger griff nach dem Zügel und half ihm beim Absteigen.
»Reiten ist gar nicht so schwer«, sagte Dimitrescu und strich die Hosenbeine glatt.
*
Viktor Drakič war seit dem frühen Morgen unterwegs und fühlte sich beschissen. Zuerst war eine der vielen Limousinen Petrovacs mit ihm ins Stadtzentrum Zagrebs und dort in eine Tiefgarage gefahren, wo er eilig in einen anderen Wagen umsteigen mußte, der keine zwei Minuten später wieder hinausfuhr und die Südautobahn nach Karlovac nahm. Ab dort wurde die Fahrt beschwerlicher, und erst nach elf Uhr durchquerten sie Fiume, wo sie in einem Hotelrestaurant ein kurzes Mahl zu sich nahmen. Nach dem Essen zog sich Drakič auf ein Zimmer zurück, wo er sich an ein Dialysegerät anschloß, das man dort für ihn aufgebaut hatte.
Cittanova erreichten sie um dreizehn Uhr, und Drakič bestieg ein Motorboot, das ihn ablegebereit erwartete und gleich aus dem Hafen herausfuhr, sobald er unter Deck verschwunden war. Vier Meilen
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