Tod auf Ormond Hall
ihre Trauzeugin zu sein.
Plötzlich schien das Zimmer von einem geheimnisvollen Duft erfüllt. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr bewusst wurde, dass es sich wieder um 'Cloe' handelte. Ein Schauer rann über ihre Haut. Sie wollte sich die Bettdecke über den Kopf ziehen, aber stattde ssen öffnete sie die Augen. Es überraschte Michelle nicht, als sie wieder die junge Frau, die ihr bereits in London begegnet war, an ihrem Bett stehen sah. Sie spürte, wie sich ihre Angst verlor. Irgend etwas sagte ihr, dass sie sich nicht fürchten musste.
"Wer sind Sie?“, fragte sie. "Was wollen Sie von mir?" Sie stand auf und streckte die Hand nach der Fremden aus. Erschro cken zuckte sie zurück, als sie durch die Gestalt hindurchgriff. "Es gibt keine Geister", murmelte sie halblaut vor sich hin und kniff die Augen zusammen. Scheinbar schläfst du doch, dachte sie. Wach auf, Michelle!
Michelle holte tief Luft und schlug erneut die Augen auf. Halb und halb erwartete sie, das Zimmer leer zu finden, doch die Fre mde stand noch immer vor dem Bett.
"Was wollen Sie von mir?“, fragte sie erneut.
Die Gestalt wies zum Fenster. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen. Michelle glaubte aus großer Höhe in einen Abgrund zu stürzen. Automatisch breitete sie die Arme aus, bereitete sich innerlich auf den Aufprall vor. Ihr wurde schwindlig. Taumelnd ließ sie sich aufs Bett fallen.
Es dauerte einige Minuten, bis die junge Frau in der Lage war, sich wieder aufzurichten. Der Sturz in den Abgrund war so real istisch gewesen, dass sie sogar Schmerzen in Armen und Beinen spürte. Verwirrt blickte sie sich um. Sie befand sich alleine im Zimmer. Nur noch ein Hauch von 'Cloe' hing in der Luft.
Was ist nur mit mir los, dachte Michelle. Habe ich diese Frau nun gesehen, oder es mir nur eingebildet? Ob sie Kevin nach ihr fragen konnte? Nein, lieber nicht, er würde sie nur auslachen. I mmerhin glaubte er genauso wenig an Geister wie sie.
"Du träumst mit offenen Augen, Michelle", sagte sie sich und trat ans Fenster, um noch ein Weilchen hinauszusehen. Sie war zu aufgewühlt, um jetzt schlafen zu können. Ihr Blick glitt zum Turm der Burgruine. Sie blinzelte. Ganz deutlich sah sie, wie etwas Weißes auf ihn zuschwebte.
8.
Als Michelle am nächsten Morgen erwachte, schien die Sonne bereits hell in ihr Zimmer. Gähnend streckte sie sich. Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen dachte sie noch einmal über die junge Frau nach, die in der Nacht bei ihr gewesen war. Sie konnte nach wie vor nicht an Geister glauben, aber für diese Erscheinung gab es kaum eine andere Erklärung. Oder sollte sie doch nur g eträumt haben?
Michelle richtete sich auf. Sie wollte einen Schluck Wasser trinken und erstarrte mitten in der Bewegung. Neben dem Glas lag eine halbe goldene Münze. Ihre Finger zitterten, als sie nach ihr griff. Sie fühlte sich kühl in ihrer Hand an. Es konnte kaum sein, aber sie schien den zweiten Teil der Münze in der Hand zu halten, die sie seit ihrer Kindheit besaß.
Die junge Frau stand auf und nahm ihre Geldbörse aus der Kommode. Sie zog die halbe Münze an ihrem Kettchen heraus und fügte sie mit dem Teil zusammen, das sie auf ihrem Nachttisch gefunden hatte. Beide Teile passten millimetergetreu zueinander.
Was geht hier vor? dachte sie betroffen. Erst diese nächtliche Erscheinung und nun auch noch der zweite Teil meiner Münze. Sie schloss die Augen. 'Sie wird dich immer behüten und beschü tzen, Michelle", hörte sie ihre verstorbene Mutter sagen und glaubte wieder, die sanften Hände zu spüren, die ihr das Kettchen mit der Münze um den Hals legten. 'Versprich mir, sie niemals zu verlieren.'
Auch der zweite Teil der Münze war an einer Kette getragen worden. Am oberen Ende gab es noch den Rest einer goldenen Schlaufe. Die junge Frau strich über die Prägung und spürte ein leichtes
Vibrieren. Ich muss herausfinden, wem sie gehört, dachte sie. Zum ersten Mal kam ihr der Verdacht, dass es in ihrem Leben etwas gab, von dem sie keine Ahnung hatte.
Als Michelle zum Frühstück hinunterkam, war nur noch für sie gedeckt. Kevin und sein Vater waren Frühaufsteher. Sie vermutete Lord Ormond in seinem Arbeitszimmer, wo er sich meist um diese Tageszeit aufhielt. Kevin war sicher aufs Gut gefahren. Er hatte davon gesprochen, dass der Tierarzt kommen würde und er unb edingt mit ihm sprechen musste.
"Lady Patricia kommt erst zum Lunch hinunter", sagte das ju nge Mädchen, das ihr den Tee brachte. "Sie fühlt sich nicht
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