Tod auf Ormond Hall
Gestalt gesehen zu haben. Wiederum nahm sie noch immer den Duft des Parfüms wahr.
Sie kehrte zum Bett zurück und schaltete das Nachtlicht ein.
Es war kurz nach drei. Sie war so müde, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte, dennoch war sie überzeugt, nicht mehr einschlafen zu können. Als sie die Augen schloss, glaubte sie wieder die Fremde vor sich zu sehen. Unbewusst gab sie ihr einen Namen. "Danielle", formten ihre Lippen. "Danielle."
6.
Michelle hatte unzählige Fotos von Ormond Hall gesehen und angenommen, dass der Besitz ihrer zukünftigen Schwiegereltern sie nicht mehr überraschen konnte, aber nun war sie doch überwältigt. Das trutzige Herrenhaus erhob sich auf einer weitläufigen Anhöhe am Rande der Black Mountains. Sein graues Gemäuer war über und über mit Efeu bedeckt. In den hohen, schmalen Fenstern spiegelte sich das Sonnenlicht. Um das Haus herum lag ein Teppich aus vielfarbigen Blumen, deren betäubender Duft die Luft erfüllte. Ganz in der Nähe standen die Ruinen einer Burg.
Sie waren kaum ausgestiegen, als ihnen ein blonder Junge en tgegenrannte. Auf den ersten Blick erkannte Michelle, dass es sich bei ihm nur um Kevins jüngeren Bruder Thomas handeln konnte. Sie waren einander so ähnlich, dass es gar keine andere Möglichkeit gab.
"Ich bin schon so gespannt gewesen, Sie kennen zu lernen, Miss Bryant", sagte er, als sie einander vorgestellt wurden. "Kö nnen Sie reiten? Mögen Sie Pferde? Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gleich die Stallungen."
"Das hat alles Zeit, Thomas", meinte Kevin lachend. "Lass M ichelle erst einmal ihr Zimmer sehen. Morgen darfst du ihr den Besitz zeigen."
"Alleine?"
"Mal sehen." Kevin nahm das Gepäck aus dem Wagen.
"Nach den Stallungen werde ich Ihnen den Turm zeigen, Miss Bryant, und dann ..."
"Warum nennst du mich nicht, Michelle?"
"Darf ich wirklich?" Die Augen des Jungen leuchteten auf. "Prima."
"Sieht aus, als hättest du eine Eroberung gemacht, Darling", meinte Kevin amüsiert. Er machte Michelle mit dem Butler bekannt, der gefolgt von zwei jungen Burschen aus dem Haus gekommen war. "Sorgen Sie bitte dafür, dass das Gepäck von Miss Bryant auf ihr Zimmer gebracht wird, Harrison", bat er.
"Selbstverständlich, Mister Ormond", erwiderte der Butler und gab seine Anweisungen.
Kevins Eltern empfingen Michelle im Salon. Vom ersten Augenblick an fühlte sich die junge Frau zu ihnen hingezogen. Patricia Ormond schloss sie in die Arme und sagte ihr, wie sehr sie sich freute, sie auf Ormond Hall begrüßen zu können. "Es war ein glücklicher Tag, als uns Kevin mitteilte, dass er sich mit Ihnen verlobt hätte", versicherte sie.
"Den Worten meiner Frau gibt es kaum etwas hinzuzufügen, Michelle", meinte Richard Lord Ormond und drückte herzlich ihre Hände. "Inzwischen hat uns Kevin soviel von Ihnen erzählt, dass Sie für uns bereits eine Tochter geworden sind."
"Ich habe meine Rückkehr nach England kaum noch erwarten können", erwiderte Michelle überwältigt.
"Kevin sagte uns, dass Sie den größten Teil Ihres Lebens im Ausland verbracht haben. Vermutlich haben Sie ein sehr intere ssantes Leben geführt. Hier auf Ormond Hall leben wir etwas abgeschieden von der übrigen Welt." Lady Patricia sah sie liebevoll an. "Aber nach Gloucester, Cardiff und Swansea ist es nicht allzu weit, zudem gibt es in der Umgebung sehr viele Sehenswürdigkeiten."
"Sie müssen nicht befürchten, dass ich mich langweilen werde, Lady Patricia", versicherte Michelle. "Ich liebe zwar die Gro ßstadt, aber genauso das Landleben. Zudem bin ich nie zuvor in Wales gewesen. Ich möchte alles über meine neue Heimat lernen."
"Auch walisisch?“, fragte Thomas gespannt. "Ich würde sehr ge rne Ihr Lehrer sein, Michelle."
"Du scheinst zu vergessen, dass du Anfang nächster Woche ins Internat zurückkehrst", sagte sein Vater. Er wandte sich an M ichelle: "Thomas war krank, deshalb ist er diese Woche noch zu Hause. Es wird höchste Zeit, dass er wieder unter das Kuratel seiner Lehrer kommt."
Thomas verzog das Gesicht. Er ließ deutlich erkennen, was er von seiner Schule hielt.
"Unterhalten können wir uns auch später noch", meinte Lady Patricia. "Sie werden von der Fahrt müde sein und sich etwas frisch machen wollen, Michelle." Sie drückte auf einen Klingelknopf.
Eine ältere Frau trat ein. Sie trug ein dunkles Kleid mit einem weißen Kragen. Ihr strenges Gesicht wurde von einer spitzen Nase und schmalen Lippen beherrscht. Michelle merkte ihr an, dass sie es
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