Tod den Unsterblichen
in Schlaf und hielt, einen Augenblick nüchtern, einen Augenblick entsetzt, inne, denn er wußte, daß er ganz allein vor der Schwelle des Schlafes stand. Aber er konnte nicht anhalten.
Er konnte nicht anhalten, weil er ein Molekül in einem Meer von Seifenlaugen war und weil Master Carl ihn in Locilles Arme schleuderte.
Master Carl schleuderte ihn fort, weil Egerd ihn gegen Master Carl geschleudert hatte; Locille stieß ihn gegen St. Cyr, und tonlos kichernd schleuderte St. Cyr ihn einfach aus dem Krug, und er konnte nicht anhalten.
Er konnte nicht anhalten, weil St. Cyr zu ihm sagte: Du bist ein Molekül, du bist ein Molekül, betrunken und dem Zufall preisgegeben, ziellos, du bist ein betrunkenes Molekül, und du kannst nicht anhalten.
Er konnte nicht anhalten, obwohl die lauteste Stimme auf der Welt ihm zuschrie: DU KANNST NUR STERBEN, BETRUNKENES MOLEKÜL, DU KANNST STERBEN, ABER NICHT ANHALTEN.
Er konnte nicht anhalten, weil die Welt sich drehte und drehte. Er versuchte die Augen zu öffnen, um sie anzuhalten, aber sie hielt nicht an.
Er war ein Molekül.
Er sah, daß er ein Molekül war, und er sah, daß er nicht anhalten konnte.
Da – hielt das Molekül – an.
7.
Egerd hämmerte fast fünf Minuten vergeblich gegen die verschlossene Tür und ging dann weg. Er hätte länger bleiben können, wollte aber nicht; er dachte gründlich darüber nach und kam zu dem Schluß, daß er erstens das getan hatte, was er sich zur Pflicht gemacht hatte – obwohl die Tatsache, daß Cornut Locille heiraten wollte, ihm diese Pflicht erschwerte, und daß er zweitens, wenn er zu spät kam, bereits zu spät gekommen war.
Eine knappe Stunde später wachte Cornut auf.
Er war noch am Leben, wie er interessiert feststellte.
Es war ein höchst seltsamer Traum gewesen. Eigentlich gar nicht wie ein Traum. Seine Nachmittagsvorlesung, in der Pogo Possum in schleppendem Tonfall Binsenwahrheiten über die Multiplikationen arithmetischer Reihen hoher ganzer Zahlen von sich geben würde, erschien ihm wesentlich phantastischer als diese Traumszene, in der er sich selber gesehen hatte, sternhagelvoll, eine Flasche in der Hand und gefangen in diesem nicht enden wollenden Brownschen Zickzack. Er war sich bewußt, daß ein Molekül nur anhalten konnte, wenn es starb, aber seltsamerweise war er nicht gestorben.
Er stand auf, zog sich an und ging hinaus.
Er hatte einen tüchtigen Kater, aber draußen fühlte er sich wesentlich besser. Es war ein strahlender Morgen, und er erinnerte sich deutlich, daß er um zwölf Uhr mit Locille verabredet war.
Seine Vormittagsvorlesung war aufgezeichnet worden, so daß er den Vormittag frei hatte. Er schlenderte ziellos auf dem Campus herum, an dem Stadion aus grünem Stahl und Glas vorbei, über die ausgedehnten Rasenflächen zur Brücke. Unter der Brücke duckte sich die Medizinische Fakultät. Er hatte die Brücke gern, ihren Bogen über die Bucht, die Art, wie sie einen Pfeiler auf die Insel stellte, auf der die Universität erbaut worden war. Er hatte diesen Pfeiler, der als Aussichtsturm diente, sehr gern.
Aus einem Impuls heraus fand er es an der Zeit, ganz nüchtern zu werden, und machte bei der Klinik halt, um seine Wachhaltetabletten wieder aufzufüllen. Die Klinik war zu dieser Stunde nicht besetzt, außer für Notfälle, aber da Cornut Patient war, wurde er zu den automatischen Diagnosemaschinen zugelassen. Es war ganz ähnlich wie die Untersuchung vor drei Tagen, nur daß überhaupt kein menschlicher Arzt anwesend war. Ein mechanischer Finger stach eine haarfeine Nadel in seinen Arm und prüfte sein Blut, verglich es mit dem letzten Blutbild und surrte nachdenklich, während er es auf Veränderungen hin untersuchte. Nach einer Sekunde blinkte die Resultat-Lampe rosa auf, es klickte und klapperte, und eine Plastikschachtel mit seinen Tabletten fiel in eine Ablage neben seiner Hand.
Er nahm eine. Oh, großartig! Sie wirkte. Es war ein seltsames und wohltuendes Gefühl. Was immer die Tabletten enthalten mochten, sie bekämpften unverzüglich die Müdigkeit. Er konnte die erste Tablette seinen Hals hinunter bis in den Magen verfolgen. Ihr Weg war prickelndes Wohlbehagen. Er fühlte sich recht gut. Nein, er fühlte sich sehr gut. Er trat wieder in die frische Luft und summte vor sich hin.
Es war ein langer Aufstieg zur Aussichtsplattform oben auf dem Pfeiler, aber er legte ihn zu Fuß zurück und fühlte sich dabei blendend. Er steckte noch eine Tablette in seinen Mund und
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