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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
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wartete auf Locille.
     
    Sie kam sofort nach der Vorlesung.
    Vom Fuß des Pfeilers schaute sie zu der Aussichtsplattform, fast siebzig Meter über ihrem Kopf, hinauf. Falls Cornut schon dort war, so konnte sie ihn nicht sehen. Sie fuhr mit der Rolltreppe, die sich um den gigantischen sechseckigen Turm wand, nach oben, wegen der frischen Luft und der Aussicht. Es war wirklich eine herrliche Aussicht – das saubere weiße Rektahedron der Biologischen Fakultät, der Kuppelbau der Klinik unter den gespreizten Füßen des Pfeilers, die hellen Universitätsgebäude, das Grün des Rasens, die zwei verschiedenen Blautöne von Wasser und Himmel. Einfach herrlich …
    Aber sie war nervös. Sie trat von der Rolltreppe, ging um den massigen Pfeiler herum und verbeugte sich. »Master Cornut«, sagte sie.
    Der Wind erfaßte ihre Bluse und ihr Haar. Cornut beugte sich verträumt über das Geländer, sein eigenes kurzes Haar spielte um seine Stirn. Er drehte sich lässig um und lächelte aus verschlafenen Augen. »Oh«, sagte er. »Locille.« Er nickte, als hätte sie etwas darauf gesagt – was sie nicht tat. »Locille«, sagte er. »Ich brauche eine Frau. Sie sind dafür geeignet.«
    »Vielen Dank, Master Cornut.«
    Er winkte freundlich mit der Hand ab. »Wenn ich mich nicht irre, sind Sie nicht verlobt?«
    »Nein.« Es sei denn, man zählte Egerd – aber sie zählte Egerd nicht.
    »Ich nehme an, auch nicht schwanger?«
    »Nein, ich bin noch nie schwanger gewesen.«
    »Ach, spielt keine Rolle, spielt keine Rolle«, sagte er hastig. »Mir ist das egal. Ich nehme an, keine körperliche Ursache?«
    »Nein.« Diesmal schaute sie ihm freilich nicht in die Augen. Denn gewissermaßen hatte es doch eine körperliche Ursache. Ohne einen Mann konnte man nicht schwanger werden. Dem war sie ausgewichen.
    Sie stand vor ihm und wartete, daß er noch etwas sagen würde, aber er ließ sich Zeit, bis er auf die Sache selbst zu sprechen kam. Aus ihren Augenwinkeln beobachtete sie, daß er Tabletten aus einer kleinen Schachtel nahm, als wären es Bonbons. Sie überlegte, ob er überhaupt wußte, was er nahm. Sie erinnerte sich an die Klinge des Brieföffners an seiner Kehle; sie erinnerte sich an die Geschichten, die Egerd ihr erzählt hatte. Unsinn – warum sollte jemand versuchen, sich umzubringen?
    Er raffte sich zusammen und räusperte sich und nahm noch eine Tablette. »Also«, sagte er versonnen. »Keine Bindungen, keine körperlichen Hindernisse, natürlich keine Blutsverwandtschaft – ich bin ein Einzelkind, verstehen Sie. Also ich glaube, das wäre alles, Locille. Wollen wir sagen, heute abend nach der letzten Vorlesung?« Er sah plötzlich betroffen aus. »Oh, das heißt – wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Ich habe nichts dagegen.«
    »Schön.« Er nickte, aber sein Gesicht blieb bewölkt. »Locille«, begann er, »wahrscheinlich haben Sie Gerüchte über mich gehört. Ich – ich habe in letzter Zeit mehrere Unfälle gehabt. Und einer der Gründe dafür, daß ich mir eine Frau nehmen möchte, ist, daß sie mich vor weiteren Unfällen bewahren soll. Verstehen Sie das?«
    »Das verstehe ich, Master Cornut.«
    »Sehr gut. Sehr gut.« Er nahm noch eine Tablette aus der Schachtel, zögerte, starrte sie an.
    Seine Augen weiteten sich.
    Verständnislos stand Locille da und rührte sich nicht; sie wußte nicht, welche Erkenntnis Master Cornut plötzlich überkam.
    Es war die letzte Tablette in der Schachtel. Dabei waren mindestens zwanzig darin gewesen! Zwanzig, noch vor einer Dreiviertelstunde – zwanzig!
    Er schrie heiser: »Wieder ein Unfall!«
    Es war so, als entfesselte diese Erkenntnis den Sturm der Tabletten. Cornuts Puls begann zu pochen. Sein Herz hämmerte in einem neuen und schnelleren Tempo. Die Welt drehte sich blutrot um ihn. Aufsteigende Galle bildete einen Knoten in seinem Hals.
    Aber der Ausruf des Mädchens kam zu spät – das wußte er, er handelte rasch. Er schleuderte die Schachtel fort, starrte Locille mit hochrotem Kopf an und sprang dann ohne weitere Umstände zum Geländer.
    Locille schrie.
    Sie rannte hinter ihm her, packte ihn, aber er schüttelte sie ungehalten ab, und da sah sie, daß er nicht hinaufkletterte, um sich in die Tiefe zu stürzen; er hatte sich den Finger tief in den Hals gesteckt; ohne Romantik oder Anstand holte Master Cornut das Gift möglichst rasch und wirkungsvoll aus sich heraus …
    Locille schaute schweigend zu und wartete.
    Nach einigen Minuten hörten seine Schultern auf zu zucken,

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