Tod den Unsterblichen
zumindest kein Traum. Master Carl besaß nicht viel Takt, aber immerhin genug, um den Arzt mit hinaus zu nehmen und die beiden allein zu lassen.
Den Magen ausgepumpt zu bekommen, ist keine angenehme Erfahrung. Das war bei Cornut das dritte Mal, aber er fand noch immer keinen Gefallen daran; er schmeckte Galle und Fäule, seine Speiseröhre war ganz wundgescheuert; die Schlaftabletten hatten Kopfschmerzen zurückgelassen.
»Es tut mir leid«, sagte er.
Locille brachte ihm ein Glas Wasser und eine der Kapseln, die der Arzt dagelassen hatte. Er schluckte sie und begann zu kichern. »Wahl hat Glück gehabt«, sagte er. »Weißt du, wenn ich wach gewesen wäre, als dieser Kerl hereinkam, wäre ich zu Wahl gestürzt und hätte ihm eins über den Schädel gehauen; es war nämlich seine Idee; er hat eine Sammlung unter den Anthropologen veranstaltet, und die Hälfte davon hat etwas beigesteuert, um ein Jahr lang Farleys Dienste für uns zu erstehen. Aber so wie es ist … hat Wahl mir wohl das Leben gerettet.« Er stand auf und lief im Zimmer herum. Trotz des schlechten Geschmacks im Mund und trotz der Kopfschmerzen fühlte er sich irgendwie recht heiter. Sogar der Traum, so absurd er auch sein mochte, war nicht unangenehm gewesen. Master Carl kam darin vor, St. Cyr und die Südamerikanerin, auch Locille.
Er blieb vor seinem Schreibtisch stehen. »Was ist das?« Es waren sorgfältig gestapelte Seiten in einem Aktendeckel, auf dem gedruckt stand: S.R. Farley, Berater. Sonst nichts. Einfach Berater. Er schlug ihn auf und fand auf der ersten Seite etwas, das wie eine Gleichung aussah, säuberlich getippt. Die Zeichen ♂ und ♀ kamen häufig vor, neben Strichen, Pfeilen, Kongruenzen, an die er sich vage aus einem Lehrgang für symbolische Logik erinnerte. »Es sieht fast wie Boolesche Algebra aus«, sagte er interessiert. »Du, sieh dir das an, Locille. Zeile drei. Wenn man diese drei Zeichen durch die Erweiterung in Zeile vier ersetzt, und …«
Er verstummte. Sie war errötet. Aber er hatte es nicht bemerkt; er betrachtete plötzlich finster seinen Schreibtisch. »Wo ist mein Wolgren?«
»Wenn du den Bericht über die Distributiv-Anomalien meinst, den du für Master Carl verfaßt, so hat er ihn mitgenommen, als er ging.«
»Aber er ist doch noch nicht fertig!«
»Aber er wollte nicht, daß du daran arbeitest. Oder überhaupt arbeitest. Er wollte, daß du dir einen freien Tag machst – den Campus verläßt, und er wollte, daß ich bei dir bleibe.«
»Hm.« Er schaute mürrisch aus dem Fenster. »Hm.« Er machte mit seinen Lippen und seiner Zunge kostende Bewegungen und verzog das Gesicht. »Na schön. Wohin kann man denn gehen, wenn man den Campus verläßt? Hast du dir schon etwas ausgedacht?«
Locille sah etwas unsicher aus. »Ehrlich gestanden«, sagte sie schüchtern, »ja …«
Bei Sonnenuntergang schifften sie sich auf der Luftfähre ein, die einmal am Tag zu den Texas flog; es herrschte ziemlich viel Verkehr von der Stadt zu den Texas und sogar von der Universität zur Stadt; aber zwischen Texas und der Universität so gut wie keiner. Sie lehnten sich an die Reling, als die Luftfähre aufstieg, und schauten hinab auf die Universitätsinsel, die Stadt und die Bucht. Die fast lautlosen Propeller über ihren Köpfen zerhackten den scharlachroten Sonnenuntergangshimmel in Tupfen und Flecken; in dem gewölbten Deck der Luftfähre konnten sie nur den Baß der surrenden Propeller und den hohen Sopran der zischenden Düsen hören.
Locille sagte plötzlich: »Ich habe dir noch nichts von Roger erzählt. Meinem Bruder«, fügte sie hastig hinzu.
Cornut unterdrückte eine Gefühlsaufwallung, ehe sie richtig begonnen hatte. »Was ist mit ihm?« fragte er erleichtert.
Sie sagte trocken: »Er hat nicht das Kaliber für die Universität. Vielleicht hätte er es gehabt, aber … Als Roger ungefähr fünf war, ging er vom Texas aus schwimmen – er sprang ins Wasser, und dort war schon ein anderer Junge. Sie prallten zusammen. Der andere Junge ertrank.« Sie machte eine Pause und wandte sich ihm zu. »Roger hatte einen Schädelbruch. Seitdem ist er – nun ja, seine Intelligenz hat sich von da an nicht mehr weiterentwickelt.«
Cornut nahm die Mitteilung stirnrunzelnd auf.
Es machte ihm nichts aus, daß er einen blöden Schwager hatte; er hatte nur nie daran gedacht, überhaupt einen Schwager zu haben. Es war Cornut nie in den Sinn gekommen, daß eine Heirat mehr als zwei Menschen mit einschloß.
»Er ist nicht
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