Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
Schluck vom gerührten Cocktail und orderte einen zweiten. „Nein“, sagte sie.
Sollte sie von ihrem Spaziergang erzählen? Ihrer Angst?
Dass sie alle längst schon da waren? Ihr auflauerten?
„Wer waren diese Acht?“, fragte Vera.
„Neun“, sagte Jana Tempel, „ich war eine von ihnen.“
„Jantosch sagte, es sei eine Art Tanztee gewesen.“
Jana Tempel lachte. Kein herzliches Lachen, längst nicht echt. Doch es ließ sie vom glatten roten Leder des Hockers rutschen, so wurde sie aus ihrer Balance gebracht. Sie hielt sich gerade noch am Tresen fest.
Hatte sie ihr Glas zu schnell geleert?
Vera dachte, dass Jana Tempel kraftloser wirkte als bei ihren ersten Begegnungen.
„Ich bin nicht länger bereit, Ihnen all diese Gefallen zu tun, wenn Sie uns keinen reinen Wein einschenken“, sagte Vera.
Nick blickte in sein Glas ‚Bernkasteler Doktor’, als könne er dort die Wahrheit erkennen.
Jana Tempel nahm die Olive aus ihrem Cocktail. Tat es mit den Fingern. Konnte man nicht nahezu alles tun, wenn man souverän dabei erschien?
„Eine Widerstandsgruppe“, sagte sie, „wir waren eine Widerstandsgruppe.“ Ihre Stimme klang, als ob sie jeden einzelnen Buchstaben in Stein meißeln müsste.
„Swingjugend“, sagte Nick, der noch am Tanztee hing.
„Sie meinen diese jungen Leute, die heimlich Swing hörten?“, fragte Jana Tempel. Sie schüttelte den Kopf. „Das war nicht unser Problem“, sagte sie.
„Weiße Rose?“, fragte Nick. Hatte es nicht auch in Hamburg eine den Münchnern zugehörige Gruppe gegeben? Er sah die Tempel aufmerksam an. Doch sie schnippte mit den Fingern und wollte Macadamianüsse.
„Sie werden noch alles erfahren“, sagte Jana Tempel, „doch ich will nicht, dass Sie voreingenommen sind.“
„Wir haben Leontine Weiss aufgesucht“, sagte Vera.
War ihr klar gewesen, dass sie einen kleinen Kometen einschlagen ließ?
„Sie lebt also“, sagte Jana Tempel. Sie steckte sich eine der Nüsse in den Mund, die der Barkeeper vor sie hingestellt hatte. Doch sie kaute nicht. Ließ die Macadamianuss auf der Zunge liegen, als sei sie eine Hostie.
Warum verschwiegen ihr Vera und Nick, in welchem Zustand sie Leontine angetroffen hatten? Sie sagten beide kein Wort. Stimmten überein, ohne sich abgesprochen zu haben.
Ein Geheimnis, das sie wahren wollten. Welchen Vorsprung erhofften sie sich davon?
„Dann hat sie das Kuvert genommen“, sagte Jana Tempel. Das schien sie zu erleichtern.
„Ihr Bruder hat es an sich nehmen wollen. Wir haben ihm nicht getraut und es behalten“, sagte Nick.
„Leontine hat keinen Bruder.“ DieTempel war so erstaunt, dass sie die Nuss verschluckte.
Gut, dass sie ihren Instinkten getraut hatten.
„Ein Nachkömmling“, sagte Vera, „er war viel jünger.“
„Nein. Ihre Eltern waren längst tot, als ich Leontine das letzte Mal sah, und da war sie selbst noch ein kleines Kind.“
Jana Tempels Stimme war leiser geworden. „Nur einer, der sich einschleichen will“, sagte sie. Gab es noch mehr Feinde, als sie gefürchtet hatte?
Ein Fehler von ihr, das Kind und diesen Nick früh in die Bar zu bestellen. Wären sie Stunden später gekommen, hätten sie gemeinsam mit ihr zum Ufer hinübergehen können, den Mann zu greifen, der dort abends nach elf Uhr stand.
In den letzten Tagen hatte er es nicht getan.
Den Mann zu greifen. Was wäre dann? Käme die ganze Wahrheit ans Licht? Wollte sie das?
„Was tat ein Kind in Ihrer Widerstandsgruppe?“, fragte Nick.
Jana Tempel hätte das Wort gern zurückgenommen.
Es gab Worte, die man niemals hineinwerfen durfte, um sich einer Situation zu entziehen. Sie wogen zu schwer.
Die Tempel zögerte. „Einer von uns hatte sie aufgelesen“, sagte sie schließlich. „In der Zeit kam es oft vor, dass Kinder herumirrten, die zu keinem gehörten.“ War sie nicht selbst noch fast ein Kind gewesen?
„Einer von den Acht?“, fragte Vera.
Die Tempel schüttelte den Kopf. „Ein Freund von Kaleschke“, sagte sie. „Er kam später um.“
Sie stützte sich auf den Tresen und sah auf einmal sehr alt aus. „Ich hatte vor ein paar Tagen einen Schwächeanfall“, sagte sie, „das scheint mir noch in den Knochen zu stecken.“
Anni hätte ihr Hühnersuppe eingeflößt, anstelle von Wodka.
„Ich begleite Sie auf ihr Zimmer“, sagte Vera.
Eine ablehnende Geste. „Sagen Sie mir, wo Leontine lebt“, sagte die Tempel stattdessen, „ich will sie aufsuchen.“
„Auf einer Nordseeinsel.“ Nick versuchte, es
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