Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
Verdiente die Kopie nicht ein ähnlich großes Fragezeichen, wie Vera es auf das Papier gemalt hatte, dass sie der Tempel ins Hotel schicken ließ?
Und die Suche nach einer Antwort darauf?
Vera drehte die Kopie um und schrieb Leontine auf die weiße Rückseite. Schrieb Henryk. Schrieb Heinz Leschinski.
Es half nichts. Sie kam nicht daran vorbei, Stan Block noch einmal aufzusuchen. Leontine konnte ihr die Fragen nicht beantworten, die sich seit dem Besuch auf Amrum fast noch dringender stellten. Er war der Mann, den Leontine aus dem Gedächtnis gezeichnet hatte. Ihn und den Jungen.
Hoffentlich hielt er sich noch in dieser Wohnung auf.
Warum zögerte sie, allein dort hin zu gehen?
Nicks Stimme kam aus der Diele. Er hatte einen Vormittag bei Ikea hinter sich. Sie sollte gut zu ihm sein.
Kindersicherungen für Fenster und Steckdosen breiteten sich auf dem Säufersofa aus. Wenn Gustav das gewusst hätte. Wenn er überhaupt so vieles wüsste.
„Kannst du das alles anbringen?“, fragte Anni, „darfst dir auch was zu essen wünschen.“
Nick dachte kurz und sehnsüchtig an Walentyna, die ihm gesagt hatte, er solle sich nicht vor jeden Karren spannen lassen. Aber war das hier nicht irgendwie seiner?
„Ich habe auch Ansprüche an dich“, sagte Vera, „und würde dich gerne zu meinem Schreibtisch bitten.“
„Nicht in die Küche?“, fragte Anni.
„Kommen wir nachher, Annilein. Ich will ihm nur was zeigen.“
Nick streifte die Sicherungen mit einem Blick. „Reibekuchen“, sagte er, „mit viel Zwiebeln und Apfelmus.“ Das schien ihm adäquat zu sein für die ganze Arbeit.
„Putzt ihr jetzt wieder alleine?“, fragte er und zog sich einen Stuhl zu Veras Schreibtisch.
„Ich habe noch mal eine Anzeige drin. Hast du mit Walentyna Skerka gesprochen?“
Nick schüttelte den Kopf. Gestern hatte er eine Weile vor dem Eingang für das Hotelpersonal in der Großen Theaterstraße gestanden. Doch die junge Frau, die er schließlich ansprach, hatte den Namen Skerka nie gehört.
„Ich bitte dich darum, den Kreis mit mir enger zu ziehen“, sagte Vera, „Leontines Reaktion auf einen kleinen Jungen, den sie für Henryk hielt, hat mir das Herz umgedreht.“
„Dass du auch von Kreisen sprichst.“
„Du hast doch sonst nicht losgelassen.“
Nick seufzte. „Ich kann hier keinem mehr helfen“, sagte er, „alles ist schon geschehen.“
„Jana Tempel“, sagte Vera,
„Nein“, sagte Nick.
„Dann hilf mir diese kleine verstörte Frau auf Amrum aus ihrem inneren Gefängnis zu holen.“
Und dem äußeren. Vera war sich nicht sicher, wie rühmlich die Rolle war, die Heinz Leschinski spielte.
„Hab ich dir schon von Leschinski erzählt?“
„Nur von Leontine. Hat Pit den Namen nicht mal erwähnt? Im Fall Loew? Der Mann, der im Schrank saß?“
„Frag ihn“, sagte Vera, „und geh mit mir in die Wohnung in der Schanze. Ich will Stan Block sprechen.“
„Bei Anni und dir hat sich ein Befehlston eingeschlichen.“
„Verzeih“, sagte Vera. Sie hielt ihm das Bild von der Fabrik hin. „Fällt dir dazu was ein? Das hatte ich in der Post.“
Nick beugte sich über das Bild. „Gib mal deine Lupe“, sagte er. Seit den Tätowierungen auf den Hälsen der Frauen vor zwei Jahren war er ganz manisch mit Lupen.
„Diesmal ist es keine Mäander“, sagte er. „Guck dir’s an.“
„Essel Alle“, sagte Vera, „kenne ich nicht.“
„Nicht Essel Alle. Da vorne ist ein großes ‚W’ und hinten noch ein zweites ‚e’ und vor dem W war auch noch ein Wort. Ist nur auf dem Foto abgeschnitten.“ Nick war aufgeregt.
„Na und“, sagte Vera. Der Duft von Reibekuchen kroch nach vorn in die Wohnung. Nick ignorierte ihn.
„Ich wette, das heißt Horst-Wessel-Allee“, sagte er. „Heute heißt sie Stresemannallee. Die Valvo-Werke waren da. Die beschäftigten Zwangsarbeiter.“
„Die Frage ist, wer mir diese Kopie schickt und warum.“
Dachte Nick einen Augenblick lang an Walentyna Skerka als Absenderin dieser Kopie? Er musste sie sprechen. So vieles war noch nicht gesagt. In jeder Beziehung.
Nick drehte die Kopie um und las die Namen, die Vera dort hingeschrieben hatte. Er nahm einen Stift vom Schreibtisch und fügte Walentyna hinzu.
„Du bist also wieder im Boot“, sagte Vera.
„Kinder“, rief Anni aus der Küche.
Nick lächelte. Tat das gut, dass Anni das rief und Vera und Nick meinte, und das Kind im Haus schon im Hochstühlchen saß und den ersten Reibekuchen seines Lebens erwartete. Nick war
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