Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
gesehen“, sagte sie. „Er war in Stans Obhut, sofern man in dieser Zeit von Obhut sprechen konnte. Stan kam auch aus Krakau. Eine Krakauer Kolonie.“ Sie lächelte und zog an der Perlenkette, als läge sie zu eng um ihren Hals.
„Was ist mit Stan Block?“, fragte Jana Tempel.
„Er wurde tot in einer Wohnung gefunden, die dem Enkel von Leo Jantosch gehört“, sagte Vera.
Jana Tempel sah aus, als überrasche sie das nicht. „Jetzt glauben Sie mir, Kind“, sagte sie, „nicht wahr?“ Sie gab dem Barkeeper ein Zeichen und bestellte einen Cognac.
„Jantosch ist der Jäger“, sagte sie leise, „die anderen sind nur seine Treiber. Er hat mich gehasst von dem Augenblick, als er in die Fabrik kam, in der wir alle arbeiteten. Hätte er nicht die gleiche Häftlingskleidung getragen wie die anderen, ich hätte geglaubt, er sei ein Verfolger. Wissen Sie, Kind, da gab es die dummen kleinen Nazis, die oft sentimental waren, und es gab die intelligenten hochmütigen. Jantosch wäre ein solcher gewesen. Doch er war einer von uns.“
„Warum hätte Jantosch sie hassen sollen?“
Bemerkte Vera nicht, wie blass die Tempel geworden war?
Sie war beinah herzlos geworden mit dieser Frau, die die Geliebte ihres Vaters gewesen war. Geliebte. Klang das nicht nur nach Bett? Vielleicht war sie seine Liebe gewesen.
Die Tempel trank den Cognac hastig, der vor sie hingestellt worden war. „Ich hatte zwei Lieben in meinem Leben, Kind“, sagte sie, „die erste war ein dummer Junge. Die zweite Ihr Vater. Den dummen Jungen versuchte ich zu vergessen, als er mich drängte; Katholikin zu werden, um ihn lieben zu dürfen. Wir waren noch Kinder, doch es tat weh.“
„Sie sind keine Katholikin“, sagte Vera.
„Ich habe gelernt, es zu sein. Im Kloster, in das mein Vater mich brachte. Eine Ironie meines Lebens, das ich dann als katholische Zwangsarbeiterin nach Hamburg kam. Doch vermutlich wurde mir Schlimmeres erspart.“
Vera dachte an das düstere Kind mit den dunklen Zöpfen und dem Kreuz auf dem Samtkleid.
„Ich kann den Rosenkranz beten wie keine andere“, sagte Jana Tempel und hielt sich den Hals fest, als erdrossele sie die Perlenkette. Oder der Rosenkranz.
„Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer“, sagte Vera.
Jana Tempel erhob keinen Einspruch. „Geben Sie mir Ihren Arm, Kind“, sagte sie, „es ist alles anders gekommen, als ich gedacht hatte. Doch ich bin froh, dass Sie da sind.“
Vera gelang es, sie in die aufwendige Leinenwäsche des Vier Jahreszeiten zu betten. Ihr eine Weile die Hand zu halten.
Sie hätte gern einen Arzt geholt. Doch Jana Tempel hatte nur den Kopf geschüttelt ob eines solchen Ansinnens.
Vera wagte nicht zu fragen, was Jana Tempel der kleinen Leontine angetan hatte. Dem zwölfjährigen Henryk.
Es ging der alten Dame zu schlecht.
Vera hoffte, eine weitere Chance zu haben.
„Ich habe keine Ahnung, wo mein Bruder ist“, sagte Peter Leschinski, „er geht seine eigenen Wege.“
„Darf ich eintreten?“, fragte Pit.
Er war kurz entschlossen hergekommen und beinah überrumpelt davon, einen Treffer gelandet zu haben.
Leschinski war unwillig, doch er öffnete die Tür ein Stück weiter. Pit dachte erst, dass Peter Leschinski so früh am Abend schon im Nachthemd sei. Doch es war wohl eine Art Dschellaba, den er da trug.
„Ich komme jetzt erst dazu, meine arabischen Souvenirs auszupacken“, sagte Leschinski.
„Ihre Wege werden doch oft zusammengeführt“, sagte Pit, „Sie als Witwer von Maria Loew und Ihr Bruder Heinz, der mit Leontine Weiss lebt. Sie wissen doch sicher, was die beiden Frauen in ihrer Vergangenheit verbunden hat.“
„Natürlich weiß ich das.“
Sie traten ins Wohnzimmer. Der Schreibtisch stand noch immer in Einzelteilen an der Wand.
Leschinski schien sich nicht setzen zu wollen. Nicht auf die Sessel mit den englischen Rosen, noch auf die arabischen Sitzkissen, die auf dem Boden verteilt waren und zu der übrigen Einrichtung einen argen Kontrast bildeten.
„Schließlich habe ich das Stück gelesen“, sagte Leschinski.
„Darin geht es um die Erlebnisse aus jener Zeit?“
„Das ist der Inhalt des Stückes.“
„Hab ich das richtig in Erinnerung?“, fragte Pit. „Ein Held, der sich als Verräter herausstellt?“
Peter Leschinski verschränkte die Arme. „Genau“, sagte er.
„Gibt es da eine Vorlage aus dem wirklichen Leben?“
„Haben Sie denn den Inhalt des Schrankes noch immer nicht gefunden? Ich brauche auch die Italienfotos, die Fritz Altgraf
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