Tod einer Queen
über einen kaputten Sessel, auf dessen durchhängender Sitzfläche sich eine Pfütze gebildet hatte, über einen Berg Konservendosen. Er sah eine zweite, kleinere Tür, die schief in den Angeln hing. Nach den Hausbesetzern hatten sich vermutlich Landstreicher hier einquartiert. Er kletterte hinein, und nachdem sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, stellte er fest, daß er sich in einem kleinen Theater befand .
Vor ihm auf einer niedrigen Rampe stand eine kleine Kinoleinwand mit einem dunklen Riß in der Mitte. Davor standen etwa zwei Dutzend niedrige Sessel, die wahrscheinlich aus der Zeit des Cafés stammten. Die verstaubten Wände, von denen der Putz abblätterte, waren übersät mit alten fotokopierten Flugblättern und großen handschriftlichen Plakaten mit riesigen Ausrufezeichen, wie jenes, das draußen hing. Es war zu dunkel, um zu erkennen, was auf ihnen stand. Es gab nur eine einzige Lichtquelle, und die war zu schwach. Das Licht kam aus einer Spalte unter einer kleinen, klapprigen Tür auf der anderen Seite des Raums. Hinter der Tür führten die Stimmen das ernste Gespräch, das der Wachtmeister jetzt besser verstehen konnte .
»Selbstverständlich werd ich nicht weggehen. Kann ich doch gar nicht mehr, oder? Jetzt, wo du alles erledigt hast. Sag mir, daß dir mein Kleid gefällt. Dir hat es immer gefallen. Sag mir, daß es dich anmacht. So ist es doch, oder? Ich seh’s an deinen Augen! Sag schon! «
Der Wachtmeister öffnete sachte die Tür .
Das Licht stammte von einer großen Taschenlampe, die auf dem schmutzigen Fußboden stand. Er erkannte sofort das Kleid. Die glitzernden Pailletten, die Linie von der Schulter zur Taille. Auch die Haltung erkannte er. Das Gesicht wandte sich ihm zu, die Schulter leicht angehoben, die eine Hand in der Hüfte, das schwarze Haar zurückgeworfen. Und vor allem die maskenhafte, verwirrende Kopie von Lulus berühmtem Lächeln .
Der Wachtmeister schien nicht zu stören. Die glitzernde Figur, die von unten wirkungsvoll beleuchtet wurde, drehte sich vor ihm in aufreizenden Bewegungen, hielt dann inne und lachte leise auf .
»Du sollst sagen, daß du mein Kleid schön findest, daß es dich anmacht. Das würde Nanny sagen. Wenn du ihm ins Gesicht treten würdest, würde er dich nur wie ein geprügelter Hund ansehen und sagen ›Ich bete dich an‹ – mit genau dieser Stimme – ›ich bete dich an, Lulu!‹ Können Sie sich das vorstellen? «
»Kann ich mit ihm reden? «
»Mit Nanny? Bitte, bitte! Sie werden ihn langweilig finden, aber ich kann ihn jetzt nicht allein lassen, verstehen Sie? «
»Ja. «
Der Raum mußte in der Zeit der Anarchisten als eine Art Kleiderkammer oder vielleicht sogar als Schlafzimmer gedient haben. Er lag zum größten Teil in tiefem Dunkel – wegen der Taschenlampe, deren Licht die hochgewachsene Gestalt beleuchtete und einen Kreis an die schmutzige Decke warf, von der ein loses Kabel herabhing. Dann wurde die Taschenlampe auf einen vollgepackten kleinen Tisch gestellt, auf dem ein fleckiger Spiegel gegen die Wand lehnte. Die Figur setzte sich, das schwarze Haar flog auf den Tisch, daß es schien, als läge dort ein kauerndes Tier. Das Gesicht, in dem Spiegel nur undeutlich zu erkennen, war noch immer mit einer dicken Schminkeschicht überzogen, inzwischen aber von hellblonden, graumelierten Haarsträhnen eingerahmt. Müde Augen sahen den Wachtmeister aus dem Spiegel heraus an, und das strahlende Lächeln war verschwunden, wie weggewischt. Vor ihm saß Nanny .
»Ich mußte mit Ihnen reden«, sagte der Wachtmeister .
»Ich weiß.« Er rieb sich müde über das Gesicht und verschmierte dabei sein Make-up. »Meine Mutter hat es mir erzählt.« Das war eine andere Stimme, leise, die Stimme eines Verlierers. »Was wollen Sie von mir? «
Der Wachtmeister blieb ganz still stehen. Er konnte sein Spiegelbild nicht sehen, aber Nanny sah ihn im Spiegel, drehte sich jedoch nicht zu ihm hin, um ihm direkt ins Gesicht zu sehen .
»Es geht um Peppina. Peppina ist in Haft, wußten Sie das? «
»Oh, ja. Ich hab’s in der Zeitung gelesen. «
»Die Anklage lautet auf Mord an…« Er wollte den Namen Lulu nicht aussprechen, vielleicht würde sie ja wieder auftauchen. Die Augen im Spiegel beobachteten ihn schweigend. Er mußte fortfahren .
»Peppina behauptet, Sie hätten ihn mit in Lulus Wohnung genommen. «
»Warum hätte ich das tun sollen? «
»Wir wissen, daß er dort war. Wir haben Fingerabdrücke genommen. Ich denke, daß wir neben
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